Immer noch wach

Immer noch wach – Fabian Neidhardt

Alex bekommt die Diagnose Krebs. Noch nicht mal 30, gerade im Leben angekommen. Er ist mit seiner Freundin zusammen gezogen, hat mit seinem besten Freund ein Café eröffnet und jetzt das.

Fabian Neidhardt erzählt diese Geschichte lakonisch, mit leichten Andeutungen und sehr wenig schmückendem Beiwerk. Ich mag diesen Stil und weiß es zu schätzen. Für Geplänkel habe ich keine Zeit, ich bin eine ungeduldige Leserin. Alex hat auch keine Zeit (mehr). Die einzelnen Szenen kommen daher wie ein Film, mit harten Schnitten. Es gibt keine Übergänge, keine ausschweifenden Beschreibungen, die bildhafte Sprache untermalt das noch. Alex hat also Magenkrebs, genau wie sein Vater. In seiner Reaktion schwingt ein gewisser Todeswunsch mit. Als der Vater nach langem Leiden stirbt, ist Alex gerade mal 7 Jahre alt und er weiß zwei Dinge:

  1. Auch ihn wird der Krebs eimal erwischen.
  2. Er will nicht, dass seine Angehörigen seinen letzen Kampf mitansehen müssen, in einem Krankenzimmer, dass nach Scheiße stinkt.

Nach der Diagnose will er keine Behandlung, keine weiteren Untersuchungen, es schwingt ein unterschwelliges „Endlich“ mit. Als hätte er schon lang darauf gewartet, dass es ihm wie seinem Vater ergeht, und er sich in diese Situation hineinfallen lassen kann. Er erinnert sich an das Sterben und auch an das danach. Wie seine Mutter in ihrer Trauer beinahe verschwand. Nur sein Freund Bene war ihm Halt und Trost. Jetzt, Jahre später hat Alex Mühe, seiner Freundin Lisa und seinem besten Freund Bene begreiflich zu machen, was ihn umtreibt. Warum er egoistisch sein, in ein Hospiz gehen und ohne „Zeugen“ im Sinne von Leidtragenden sterben möchte.

Ich verstehe Alex in seinem Wunsch; wenn man beim Sterben nicht egoistisch sein darf, wann denn bitte dann? Aber auch die Position der Freunde ist verständlich, die ihn anschreien: „Kämpfe. Wehr dich gegen den Krebs. Lass das nicht so geschehen.“ Sie möchten für ihn da sein, ihn begleiten.

Doch Alex setzt sich durch. Er hat eine Löffelliste, gut, die ist sehr kurz, aber immerhin. Er regelt seine Angelegenheiten, verabschiedet sich, feiert eine letzte Party, wohnt seiner eigenen Beerdigung bei. Eine Beerdigung ist für die Angehörigen, nicht für den Verstorbenen. Sind wir nicht alle neugierig, wie sich unsere Lieben von uns verabschieden? Was sie am Grab sagen?

Alex steigt in einen Zug, fährt kilometerweit, um in einem Hospiz, allein und ohne Trost oder Beistand seiner Freunde zu sterben. Aber wie heißt es so schön: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Hier nimmt die Geschichte nochmal eine Wendung, Alex geht in eine Richtung, die ich vermutet habe, gleichzeitig überrascht er mich. Spoilerfrei kann ich sagen, dass er eine ganze Menge lernt. Über sich, über Abschiede, über das Leben und das Für-jemanden-dasein-wollen. Im Hospiz lernt er Kasper kennen, der ist auch allein. Allerdings unfreiwillig. Die beiden freunden sich an, während sie auf ihr Ende warten. Sterben, das geht nicht so schnell. Alex ist für Kasper da, aber nicht nur das. Alex erweitert seine Löffelliste. Kurz dachte ich, ach das wird jetzt wieder so eine Das-Beste-kommt-zum-Schluß-Geschichte. Ja und Nein. Es ist eine Geschichte über Zeit. Über geschenkte Zeit und darüber, was man damit anfangen kann und will und mit wem.

Ich hab das Buch gern gelesen und mit einem Seufzen und einem guten Gefühl in der Magengegend zugemacht. Ein bisschen Zeit ist noch.

★★★★★

Schlaf, mein Kind

Schlaf, mein Kind / Angela Temming

Hauptkommissar Lennartsson ermittelt im Fall der verschwundenen Olivia Sartori und stößt auf Ungereimtheiten. Lügen, überall Lügen. Bald ist die Vermutung Gewissheit, Olivia ist tot. Lennartsson beginnt seine Ermittlungen bei Mila, der Schwester des Opfers. Die Frauen hatten jahrelang keinen Kontakt, aber Mila schweigt über den Grund.

Zwischen Lennartsson und seinem Partner Hardy brodeln unterschwellig die Konflikte, dieser Fall wird zur Bewährungsprobe für alle. Wer steht auf welcher Seite? Es ist spannend, für mich als Leserin zu verfolgen: Eigentlich bräuchte es nicht viel um aus den zwei unterschiedlichen Ermittlern ein gutes Team zu machen. Ich finde alle Figuren und auch die Handlung glaubwürdig, bzw. gut ausgearbeitet. Ich muss nicht, wie bei anderen Kriminalgeschichten schon geschehen, die Figuren für ihre dämlichen Aktionen anbrüllen, weil sie meinen klüger als der Mörder zu sein und sich dann in Situationen begeben, die eine Hase-aus-dem-Hut-Trick-Rettung benötigen. Hier stimmt alles. Dramatik und Logik!

Dieser Krimi ist sehr spannend aber nicht blutrünstig. Ich mag, dass hier Handlung, Motive, und Figurenzeichnung wichtig sind und nicht das Augenmerk darauf liegt den Leser mit Horrorszenarien zu schockieren.

Die Geschichte ist toll geschrieben, sie fesselte mich von der ersten Seite an. Es war spannend bis zum Schluss. Ich spielte selbst Miss Marple, stellte Vermutungen an, wer es gewesen sein könnte, die Autorin hatte aber noch ein paar Fährten für mich – leicht machte sie es mir nicht. Ihr Erzählstil ist leicht, unkompliziert, ich folgte mit klopfendem Herzen allen Brotkrumen – ins Hexenhaus.

Ich kenne einige Kurzgeschichten der Autorin (die ich mit Begeisterung gelesen habe) und war sehr gespant auf den Debüt-Roman von Angela Temming. Sie beherrscht auch die lange Form! Lennartsson und Hardy, das schreit nach weiteren Fällen. Ich will mehr von dem schwäbischen Schweden. 🙂

 

Eckdaten: