Heute schon geschrieben?

Ich habe diese Schreibratgeber-Reihe vor vielen Jahren begonnen, da war das noch eine Buchreihe als Hardcover im Weltbild Verlag. Zwischenzeitlich musste ich dann auf eBücher umsteigen, was natürlich kein Problem ist. Aber die Print-Bücher damals, die waren sehr hübsch gemacht, die hatten eine schöne Haptik und auch, wenn ich die Reihe inzwischen abgeschlossen habe – im Bücherregal ist die Sache nur halbfertig und mein innerer Monk ist unzufrieden. Aber das nur am Rande.

Ich zähle mich jetzt wirklich nicht zu den alten Hasen, ich habe auch noch einiges zu lernen… Ich glaube, es war Hemingway, der gesagt hat, dass man als SchriftstellerIn niemals zum Meister wird. Oder so ähnlich. Ich mochte diese Reihe sehr gern, Diana Hillebrand vermittelt ihr Wissen sehr sympathisch und persönlich samt Textbeispielen. Mit den ersten fünf oder sechs Bänden der Reihe habe ich sehr intensiv gearbeitet und viel davon profitiert (ich hatte sogar das passende Notizbuch dazu), aber jetzt zum Schluss war es mir ein bisschen zu oberflächlich, ich wäre bei manchem Thema gern mehr in die Tiefe gegangen und bei so einen Buch kann man leider keine Fragen stellen. 😉 Worauf ich hinauswill: Ich glaube Schreibende, die noch am Anfang stehen mit ihren Projekten und Veröffentlichungen werden hier wirklich gute Tipps, Übungen und Anregungen finden. Wer aber schon ein paar Schreibprojekte bewältigt hat, findet wenig Neues. Ich habe mir noch ein paar Notizen gemacht, vor allem Themen, die ich wie gesagt, vertiefen will, samt Links und weiterführenden Infos. Ich bin also noch nicht fertig mit der Arbeit. Ich kann die aber Reihe herzlich weiter empfehlen, inzwischen habe ich auch ihren Podcast (zusammen mit Wolfgang Tischer) entdeckt und abonniert, da geht es weiter mit Tipps und Tricks. Das gefällt mir sehr, es geht also weiter. ⭐️⭐️⭐️⭐️

Heute schon geschrieben? (Reihe in 10 Bänden)
Diana Hillebrand
Band 8, 9 und 10
Dotbooks Verlag
eBuch

#BacklistMittwoch – Letzte Nacht in Twisted River

Es ist Mittwoch und weil demnächst ein neuer Roman von John Irving erscheint, will ich den #BacklistMittwoch für diesen Roman nutzen:

Väter und Söhne

Irving setzt seine Figuren immer grotesken Zufällen und Unfällen aus. Erst ertrinkt der  15-jährige Angel, und später stirbt die Geliebte des Kochs. Der Sohn des Kochs, der 12-jährige Daniel verwechselt die stämmige, schwarzhaarige Frau mit einem Bären und erschlägt sie mit einer Bratpfanne, im Glauben sie würde seinen Vater angreifen. Leider ist die Frau auch die Freundin des Sheriffs, der sich rächen will, am Koch und dessen Sohn. Eine lebenslange Flucht beginnt.

Eintauchen, sich treiben lassen

Vater und Sohn leben allein, Rosie die Ehefrau und Mutter, ertrank, als Daniel zwei Jahre alt war. Lange Zeit erfährt Daniel nicht die Umstände ihres Todes. Die Ereignisse; der Unfalltod der Mutter, die erschlagene Bären-Frau, die Flucht, machen aus Daniel einen Schriftsteller. Schon als Teenager fängt er an zu schreiben, sieht in sich selbst einen zurückgebliebenen Jungen, der die Lücken seines eigenen Lebenslaufs mit seiner Fantasie stopft. Einzig sein Lehrer Mr. O´Hara liest seine Geschichten. Gerade dieser Umstand ist für mich besonders spannend. Daniel sammelt Informationen über seinen Vater, seine Mutter und ihre gemeinsame Vergangenheit wie Puzzlestückchen. Er legt sie zusammen, und so wie er die Umstände erfährt, bekomme auch ich sie. Den Rest muss sich Daniel selbst zusammen reimen. Irving lockt mich mit Brotkummen ins Hexenhäuschen, lässt mich schmoren. Wenn er will, dass ich leide und aufgeregt das dicke Ende kommen sehe, dann haut er mir nochmal eins über. Immer gespickt mit seiner Detailverliebtheit. Ich kann gut verstehen, warum manche LeserInnen überhaupt keinen Zugang zu Irvings Bücher finden. Entweder man liebt ihn für seine Details, für seine Ausschweifungen und Längen, oder man legt das Buch frustriert beiseite, doch so legt man nie das ganze Puzzle zusammen. Denn alle Details sind wichtig.

Ich persönlich finde es, beispielsweise, großartig, dass Irving uns LeserInnen auf seiner Reise der Geschichte immer genau erklärt, was passieren wird, warum, und wie. Ich sehe es immer kommen, und bin dann doch überrascht. Er lässt mich an seinen Kniffen teilhaben und ist dabei sein größter Kritiker. Kein einziger Kritiker, könnte ihn so sehr auseinander nehmen, wie er es selbst tut. Die ersten 200 Seiten handeln davon, wie es zur Flucht kommt. Ich erfahre die wichtigsten Dinge: das Leben des Kochs, bevor er heiratete und Daniel geboren wurde, das Leben der Mutter, alles über die Bären-Frau und auch über den besten Freund vom Koch; Ketchum. Die zentrale Figur des Romans, und meiner Meinung nach, verdammte Elchscheiße, auch der liebenswerteste Kerl weit und breit. Ketchum begleitet die beiden, als Beschützer und Freund. Anfangs dachte ich, Ketchum wäre ein Stereotyp, ein absolutes Klischee. Nur Iving schafft es, aus einem Klischee etwas wundervoll Individuelles zu machen.

Daniel beginnt also zu schreiben, das was er kennt, was er erlebt hat. Der Lehrer O´Hara hält diese Geschichten natürlich für grotesk, und absolut erfunden (Wem passieren schon solche Dinge?). O´Hara sagt und denkt und vermittelt mir all das, was ich beim Lesen vielleicht selbst gedacht habe. Mit O´Haras Stimme zerpflückt Irving seine eigene Geschichte, bis ins Kleinste, liefert die Gründe warum man ihm kein Wort glauben sollte, und dann doch jedes Wort für bare Münze nehmen kann (wenn man will), und sorgt dafür, dass man all die Figuren, Daniel und seinen Vater, die Bären-Frau und Ketchum, noch liebenswerter noch realer, empfindet. Während O´Hara die Geschichte, die Daniel schreibt, zerpflückt und bewundert, stehlen sich mir die Figuren ganz heimlich ins Herz. An diesem Punkt glaubte ich schon schon, sie persönlich zu kennen.

Die LeserInnen werden es für ein Kochbuch halten

Daniel schreibt weiter, stopft die Lücken, verändert die Details, kommt der Wahrheit sehr nahe, und doch ist alles erfunden. O´Hara ist noch verwirrter und ich kann es mir nun aussuchen: Ist die Geschichte, die Irving erzählt die eigentliche Geschichte? Oder die Geschichte, der Daniel nachspürt, die Geschichte seines Lebens? Wer ist der Autor von Letzte Nacht in Twisted River?

Er wird älter, schreibt noch mehr, noch mehr Details, er wird Vater, und er flieht vor dem Sherriff, vor seiner Vergangenheit.

she bu du

Einen Irving-Roman zu lesen ist für mich immer ein wenig so, als würde ich mich in den Schreibschuppen von Irving schleichen, seinen Hund Dickens ein bisschen hinter dem Ohr kraulen und mich in eine stille Ecke setzten, und ihm bei der Arbeit zusehen. Er spielt mit mir als Leserin, er vermischt Fiktion und Autobiografisches, wobei für mich die Frage danach, was „echt“ und was erfunden ist, unerheblich ist.  Ich glaube, die Frage ist auch für Irving unerheblich. Details erlebter Dinge wandelt er so um, wie er es für die Geschichte brauchen kann, und so sind auch autobiografische Dinge erfunden. In dem Buch steckt Iving, vielleicht mehr, als er selber weiß, und doch überhaupt nichts von ihm. Was macht es schon, wenn man es nicht so genau weiß, wenn man sich einfach in die Figuren verliebt? Die Gefühle ändern sich dadurch ja nicht.

Ich persönlich mache immer wieder Zwangspausen, ich lese eine Irving-Geschichte nicht in einem Rutsch.  Am Anfang bin ich aufgeregt, will die Figuren kennen lernen, mitten drin, wenn ich dann Gefühle für sie habe und mit fiebere, leg ich das Buch beiseite. Ich weiß, sie werden viel verlieren. Gliedmaßen, geliebte Menschen, so ziemlich alles. she bu de schreibt Irving, und übersetzt es mit Ich kann es nicht ertragen loszulassen. So geht es mir auch. Kaum war ich über die 500ste Seite hinaus, dachte ich; Oh, er leitet das Ende schon ein.

Ich will nicht, dass es endet!

Aber es endet. Und alle Details sind wichtig. Alle Rezepte und Gerichte, schließlich geht es um einen Koch und seinen Sohn, um ihre Reise, das Überdauern von fünf Jahrzehnten, und wie sie das Leben ausgekostet haben, trotz aller Widrigkeiten. Mein persönlicher Lieblingsroman ist immer noch Zirkuskind, aber der hier, Letzte Nacht in Twisted River kommt dem verdammt nahe.

Rebel in the Rye

Hello!

Lass uns über Schriftstellerfilme reden. Ich liebe sie, ich muss alle gucken. Und diesen hier kann ich herzlich empfehlen! 

Es geht um die Lebensgeschichte von J. D. Salinger, du weißt schon, der Autor von „Der Fänger im Roggen“. Die Geschichte wie das Buch entstanden ist, ist fast interessanter als das Buch selbst. Vor vielen, vielen Jahren habe ich „Der Fänger im Roggen“ gelesen und fand es so mittelmäßig. Ich fand Holden ist ein Klugscheißer und er war mir nicht sonderlich sympathisch. Vielleicht lag es aber auch an mir und meinen jugendlichen Jahren. Vielleicht hab ich die Story auch nicht ganz kapiert. Das räume ich jetzt ein, nachdem ich den Film gesehen habe.

Während der Film noch lief, bin ich ans Bücherregal marschiert, habe den Roman aus der Papier-Masse heraus gezogen und auf meinen lese-ich-gerade-Stapel gelegt. Ganz nach oben. Ich will aber kurz dazu sagen, dass ich auch „Franny und Zooey“ gelesen habe und von dem Buch hellauf begeistert war. (Das kannst du hier nachlesen, wenn du willst). Jedenfalls. Ich war im Internet, es gibt noch zwei Bücher von J. D. Salinger, mit Kurzgeschichten, und ich habe einen Gutschein zu Weihnachten bekommen und ich werde ihn benutzen. Aber zurück zum Film. 

J.D. heißt im Film Jerry, hat ein großes Ego, viele Ambitionen und Eltern, die viel für ihn wollen, aber doch bitte keine Ausbildung zum Schriftsteller. Wenn du das Buch gelesen hast, wirst du dich nicht darüber wundern, dass Jerry ein Früchtchen war, das von diversen Schulen geflogen ist. Überraschung, Überraschung. Er schafft es, seine Eltern zu überreden, er geht studieren und trifft dort seinen Lehrer und Mentor Whit Burnett, der ihn fördert und fordert. Das Leben passiert dann auch noch. Die Liebe, die Enttäuschung und der Krieg. J. D. Salinger kämpft im Zweiten Weltkrieg, in der Normandie mit sechs Kapitel seines Romans im Marschgepäck. Traumatisierte kehrt er zurück. Natürlich hat sich sein Schreiben durch all diese Erfahrungen verändert. Seine Geschichte um Holden Caufield nicht. Der Bursche ist noch da.

Ich habe also gespannt verfolgt wie er mit dem Schreiben kämpft, dann um seine geistige Gesundheit nach dem Krieg, dann mit dem Erfolg. Und ich habe große Lust bekommen den Roman noch mal zu lesen, mit all dem Hintergrundwissen. Ich bin ja auch älter geworden. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich gucke manchmal nachsichtig, manchmal kopfschüttelnd auf mein zwanzigjähriges Ich zurück und frage ich: Was hast du dir dabei nur gedacht? 

Und ja, ich lese Bücher mehrfach. Ein Beispiel: Ich habe „Wer die Nachtigall stört“ mit 13 zum ersten Mal gelesen. Dann mit 23 und mit 33 noch Mal. Und ich werde den Roman mit 43 wieder lesen und so weiter. Die Zeit macht Sachen mit meinen Ansichten und Eindrücken. Und bei manchen Büchern lohnt sich einfach ein zweiter Blick, ein dritter. Ich glaube hier ist das auch so. Wenn ich den „Fänger“ gelesen habe, sag ich Bescheid. Dann können wir darüber reden. OK? OK!

Caro

Apps für Schriftsteller

Ich schaue in regelmäßigen Abständen im AppStore vorbei auf der Suche nach kleinen Helfern für mein Chaos im Kopf. Diese Woche habe ich BookCreator ausprobiert und schon nach wenigen Sekunden stellte ich fest: Rausgeworfenes Geld.

Sicherlich ist es eine hübsche Idee, Orte, Charaktere und Ideen aufschreiben und strukturieren zu können. Wenn man das aber nicht exportieren kann, ist die hübsche Idee sofort nutzlos.

Die Tipps erweisen sich als Links zu Amazon, oder ganz knapp zusammen gefasste Informationen – selbst für Anfänger vermutlich nicht neu. Die 100 Satzanfänge sind einzelne Worte, im Prinzip nur Füllwörter und Blödsinn. Wenn man sich schon ein paar Tage mit dem Schreiben beschäftigt, ist einem auf einen Blick klar: SO fängt man keine Geschichte an. Die zehn Ratschläge zur Schreibblockade sind nur oberflächliches BlaBla. Selbst blutige Anfänger, die noch keine Seite geschrieben haben und sich noch mit dem Gedanken beschäftigen: „Ich könnte ja mal ein Buch schreiben“ werden hier ganz schnell an ihre Grenzen kommen. Da gibt es bessere und günstigere Apps.

Beispielsweise: iDeas for Writing

Die App selber macht einen noch nicht zum Schriftsteller. Aber sie bietet Übungen und Anregungen, für Wochen und Monate, wenn man will. Es gibt Aufgaben von leicht bis schwer; Fünf Wörter Aufgaben, Charakterbeschreibungen, Satzanfänge und noch einiges mehr. Das einzige Manko hier; Die App ist nur in Englisch erhältlich.

Der größte Unterschied zwischen diesen Apps ist der, dass man BookCreator befüllen muss, während man zum Beispiel konkret an einem Mauskript arbeitet und sich fragt: Wie sieht mein Handlungsort aus, was macht meine Figuren aus?

iDeas for Writing liefert, wie der Name schon sagt, Ideen und regt an, einfach los zu legen ohne sich groß zu fragen: Was soll ich nur schreiben?

Jetzt kommt es nur drauf an, was man als Käufer der App möchte und erwartet.

Mein Favorit ist iDeas for Writing. Schreiben ist Handwerk. Und das kann man lernen.

Letzte Nacht in Twisted River

Väter und Söhne

Irving setzt seine Figuren immer grotesken Zufällen und Unfällen aus. Erst ertrinkt der  15-jährige Angel, und später stirbt die Geliebte des Kochs. Der Sohn des Kochs, der 12-jährige Daniel verwechselt die stämmige, schwarzhaarige Frau mit einem Bären und erschlägt sie mit einer Bratpfanne, im Glauben sie würde seinen Vater angreifen. Leider ist die Frau auch die Freundin des Sheriffs, der sich rächen will, am Koch und dessen Sohn. Eine lebenslange Flucht beginnt.

Eintauchen, sich treiben lassen

Vater und Sohn leben allein, Rosie die Ehefrau und Mutter, ertrank, als Daniel zwei Jahre alt war. Lange Zeit erfährt Daniel nicht die Umstände ihres Todes. Die Ereignisse; der Unfalltod der Mutter, die erschlagene Bären-Frau, die Flucht, machen aus Daniel einen Schriftsteller. Schon als Teenager fängt er an zu schreiben, sieht in sich selbst einen zurückgebliebenen Jungen, der die Lücken seines eigenen Lebenslaufs mit seiner Fantasie stopft. Einzig sein Lehrer Mr. O´Hara liest seine Geschichten. Gerade dieser Umstand ist für mich, und für den Leser, besonders spannend. Daniel sammelt Informationen über seinen Vater, seine Mutter und ihre gemeinsame Vergangenheit wie Puzzlestückchen. Er legt sie zusammen, und so wie er die Umstände erfährt, bekommt sie auch der Leser.  Den Rest muss sich Daniel selbst zusammen reimen. Irving lockt uns, seine Leser mit Brotkummen ins Hexenhäuschen, lässt uns schmoren. Wenn er will, dass wir leiden, und aufgeregt das dicke Ende kommen sehen, dann haut er uns nochmal eins über. Immer gespickt mit seiner Detailverliebtheit. Ich kann gut verstehen, warum manche Leser überhaupt keinen Zugang zu Irvings Bücher finden. Entweder man liebt ihn für seine Details, für seine Ausschweifungen und Längen, oder man legt das Buch frustriert beiseite, doch so legt man nie das ganze Puzzle zusammen. Denn alle Details sind wichtig.

Ich persönlich finde es, beispielsweise, großartig, dass Irving uns Leser auf seiner Reise der Geschichte immer genau erklärt, was passieren wird, warum, und wie. Ich sehe es immer kommen, und bin dann doch überrascht. Er lässt uns an seinen Kniffen teilhaben und ist dabei sein größter Kritiker. Kein einziger Kritiker, könnte ihn so sehr auseinander nehmen, wie er es selbst tut. Die ersten 200 Seiten handeln davon, wie es zur Flucht kommt.  Der Leser erfährt die wichtigsten Dinge, das Leben des Kochs, bevor er heiratete und Daniel geboren wurde, das Leben der Mutter, alles über die Bären-Frau und auch über den besten Freund vom Koch; Ketchum. Die zentrale Figur des Romans, und meiner Meinung nach, verdammte Elchscheiße, auch der liebenswerteste Kerl weit und breit.   Ketchum begleitet die beiden, als Beschützer und Freund. Anfangs dachte ich, Ketchum wäre ein Stereotyp, ein absolutes Klischee. Nur Iving schafft es, aus einem Klischee etwas wundervoll Individuelles zu machen.

Daniel beginnt also zu schreiben, das was er kennt, was er erlebt hat. Der Lehrer O´Hara hält diese Geschichten natürlich für grotesk, und absolut erfunden (Wem passieren schon solche Dinge?). O´Hara sagt und denkt und vermittelt dem Leser all das, was er beim Lesen vielleicht selbst gedacht hat. Mit O´Haras Stimme zerpflückt Irving seine eigene Geschichte, bis ins Kleinste, liefert die Gründe warum man ihm kein Wort glauben sollte, und dann doch jedes Wort für bare Münze nehmen kann (wenn man will), und sorgt dafür, dass man all die Figuren, Daniel und seinen Vater, die Bären-Frau und Ketchum, noch liebenswerter noch realer, empfindet. Während O´Hara die Geschichte, die Daniel schreibt, zerpflückt und bewundert, stehlen sich die Figuren ganz heimlich ins Herz der Leser. An diesem Punkt glaubt man schon, sie persönlich zu kennen.

Die Leser werden es für ein Kochbuch halten

Daniel schreibt weiter, stopft die Lücken, verändert die Details, kommt der Wahrheit sehr nahe, und doch ist alles erfunden. O´Hara ist noch verwirrter und wir als Leser können es uns nun aussuchen: Ist die Geschichte, die uns Irving erzählt die eigentliche Geschichte? Oder die Geschichte, der Daniel nachspürt, die Geschichte seines Lebens? Wer ist der Autor von Letzte Nacht in Twisted River?

Er wird älter, schreibt noch mehr, noch mehr Details, er wird Vater, und er flieht vor dem Sherriff, vor seiner Vergangenheit.

she bu du

Einen Irving-Roman zu lesen ist für mich immer ein wenig so, als würde ich mich in den Schreibschuppen von Irving schleichen, seinen Hund Dickens ein bisschen hinter dem Ohr kraulen und mich in eine stille Ecke setzten, und ihm bei der Arbeit zusehen. Er spielt mit dem Leser, vermischt Fiktion und Autobiografisches, wobei für mich die Frage danach, was „echt“ und was erfunden ist, unerheblich ist.  Ich glaube, die Frage ist auch für Irving unerheblich. Details erlebter Dinge wandelt er so um, wie er es für die Geschichte brauchen kann, und so sind auch autobiografische Dinge erfunden. In dem Buch steckt Iving, vielleicht mehr, als er selber weiß, und doch überhaupt nichts von ihm. Was macht es schon, wenn man es nicht so genau weiß, wenn man sich als Leser einfach in die Figuren verliebt? Die Gefühle ändern sich dadurch ja nicht.

Ich persönlich mache immer wieder Zwangspausen, ich lese eine Irving-Geschichte nicht in einem Rutsch.  Am Anfang bin ich aufgeregt, will die Figuren kennen lernen, mitten drin, wenn ich dann Gefühle für sie habe und mit fiebere, leg ich das Buch beiseite. Ich weiß, sie werden viel verlieren. Gliedmaßen, geliebte Menschen, so ziemlich alles. she bu de schreibt Irving, und übersetzt es mit Ich kann es nicht ertragen loszulassen. So geht es mir auch. Kaum war ich über die 500ste Seite hinaus, dachte ich; Oh, er leitet das Ende schon ein.

Ich will nicht, dass es endet!

Aber es endet. Und alle Details sind wichtig. Alle Rezepte und Gerichte, schließlich geht es um einen Koch und seinen Sohn, um ihre Reise, das Überdauern von fünf Jahrzehnten, und wie sie das Leben ausgekostet haben, trotz aller Widrigkeiten. Mein persönlicher Lieblingsroman ist immer noch Zirkuskind, aber der hier, Letzte Nacht in Twisted River kommt dem verdammt nahe.