Der Schrecken verliert sich vor Ort

Der Schrecken verliert sich vor Ort

Ausgelesen.

Dieses Buch hallt noch nach, ich überlege, es gleich noch mal zu lesen. Aber vermutlich werde ich nie ganz begreifen, wie Ausschwitz existieren oder wie Menschen diesen Ort überleben konnten. Heiners Geschichte macht klar: Er lebt, aber dem Grauen entkommt er nicht.

Ich habe mich das schon oft gefragt: Wie schafft man das? Wie findet man seinen Weg in ein normales Leben? Heiraten, Kinder kriegen, Freundschaften pflegen, einen Beruf ausüben, vielleicht ständig Erinnerungen und Tätern begegnen?

Heiner hat Ausschwitz überlebt. Jahre später muss er vor Gericht aussagen. Allein der Unterschied zwischen dem, was er erlebt hat, wie er sich daran erinnert, und wie Anwälte und Richter ihre Fragen stellen, was sie für Fakten, Zahlen, Beweise wollen… es ist ein Irrsinn. Das, was Heiner sagen will, und das was er antworten muss, ist kaum zu ertragen. Im Flur vor dem Gerichtssaal sackt er zusammen und begegnet Lena. Sie verlieben sich, kaum zu glauben. Heiner muss reden, muss erzählen, er bringt seine Vergangenheit und sein Trauma mit in die Beziehung. Ein Senfglas voller Knochenstaub immer dabei. Für mich ist das völlig logisch, dieses Glas; das er daran festhält. Die Frage ist: Reicht Liebe aus, um damit zurechtzukommen? Lena kämpft, um sich nicht zu verlieren. Sie muss Publikum sein, Zuhörerin, weil sie es nicht erlebt hat, diesen Schmerz, und ausgeschlossen bleibt.

Die Vergangenheit streckt immer wieder ihre kalten Finger in die Gegenwart hinein, es geht um Ausschwitz damals und heute, aber vor allem um Heiner und Lena, eine wahnsinnige Geschichte. Ich musste das Buch alle 30 Seiten beiseitelegen, nachdenken, manches, weil ich es nicht parat habe, recherchieren, nachlesen, begreifen versuchen. Ich empfehle das Buch, das ist tatsächlich, meiner Meinung nach ein must-read. ★★★★★

Allerdings: schwerer Tobak.

  • Monika Held
  • Der Schrecken verliert sich vor Ort
  • Roman, Taschenbuch, 272 seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3404176267

George Orwell – 1984

1984

Ich habe den Film als Kind gesehen und die Szene mit der Ratte im Käfig hat mich nachhaltig verstört. Daher habe ich viele Jahre einen Bogen um das Buch gemacht. Erst jetzt, nach vielfacher Empfehlung wagte ich mich an die Lektüre. Und ich staune. Dieser Roman wurde 1949 veröffentlicht. George Orwell schrieb, schwer krank, mit dem Zweiten Weltkrieg im Nacken, eine Zukunft, die ich kaum fassen kann. Ich versuche mir vorzustellen, wie er gearbeitet, wie er sich Winston Smith ausgedacht hat. Ich müsste erst recherchieren, wo er, George Orwell, während des Krieges gewesen ist, was er getan hat. Eindeutig ist, dass er verstanden hat, was Krieg mit den Menschen macht, wie sich die Sprache verändert und damit das Denken. 

Ich weiß gar nicht so genau, was dieses Buch mit mir macht. Ich werde darüber noch nachdenken müssen. Es ist unfassbar gut, es ist gruselig. Es ist aktuell, ich verstehe vieles, nicht alles. Es regt mich zum Denken an, es macht mir Angst. Ich muss es nochmal lesen um all diese klugen, komplexen Gedanken zu ordnen. Im Moment ist es ist ein Aha-Erlebnis und ein großes Fragezeichen gleichzeitig. Winston, der Große Bruder, Neusprech. Man muss das Buch ja gar nicht gelesen haben… all diese Begrifflichkeit sind im alltäglichen Sprachgebrauch zu finden. Ob sie nun „richtig“ eingesetzt werden mag ich bezweifeln. Das Motiv des Romans lautet: bloß nicht selber denken, gehorchen, nichts in Frage stellen, und vielleicht am Wichtigsten: Mit niemandem eine Verbindung einzugehen. Es gilt als erklärtes Ziel jede Beziehung zu verhindern. Keine Liebe, kein Vertrauen, keine Gemeinschaft: Paare, Freunde, Eltern und Kinder. Jeder ist allein. 

Deshalb funktioniert dieses Regime. Die Partei ist alles, der einzelne nichts.  Ob ich den Film noch mal anschaue weiß ich nicht. Eher nicht. Das ist mir zu heftig.

Kommissar Gordon

Ulf Nilsson. Kommissar Gordon – Der letzte Fall?

Ich möchte diese Geschichte mögen. Doch, wirklich. Kommissar Gordon und seine Assistentin Buffy sind herzig. Im Wald, da geschehen merkwürdige Dinge. Andere Tiere werden geärgert, Kinder werden ausgeschlossen, so geht das nicht: Da muss ermittelt werden. Das ist ein großes Plus an der Geschichte. Ganz leicht wird da Polizeiarbeit vermittelt. Während Kommissar Gordon nachdenkt und der Grenze zwischen Gut und Böse nachfühlt, stürzt sich Buffy in die Ermittlungen. Unauffällig soll sie Befragungen durchführen, doch niemand traut sich so Recht eine Aussage zu machen. Ich finde schön mit wie viel Herz die beiden miteiander umgehen. Gordon empfindet ganz viel Liebe für Buffy und unterstützt sie wo er kann. Und sein Unrechts-Empfinden sagt ganz klar: Gemein sein geht gar nicht. Kinder ausgrenzen sowieso nicht. Und so gehen die Zwei, jeder auf seine Art, seinen Stärken entsprechend, ans Werk. Aber. Und jetzt muss ich ein bisschen meckern. Aber, zwei Sachen gefallen mir nicht.

  1. Kommissar Gordon ist eine Kröte, er ist unförmig und verfressen. Damit kann ich gut leben. In einer Szene tut er sich weh, er weint, dann schämt er sich, und dann futtert er 8 Muffins um seinen Kummer damit herunter zu schlucken. Ich muss dazu sagen, dass mich die Disskussionen in den letzten Monaten genervt haben. Bücher, die 20 oder 50 oder sogar 100 Jahre alt sind, werden kritisiert, dass sie nicht mehr dem heutigen Zeitgeist entsprechen. Wir haben uns weiter entwickelt und Begrifflichkeiten, Umgangsformen etc. haben sich verändert. Alles gut soweit. Dieses Buch ist 2015 erschienen und ich verstehe nicht, warum in der eben beschriebenen Szene nicht steht: „Weine ruhig, du hast dir weh getan, da muss man sich nicht schämen. Und den Muffin, den kannst du auch essen, aber während du das tust, erzählst du mir, was los ist.“ Buffy, die ein sehr einfühsames Mäuse-Mädchen ist, würde meiner Meinung nach, sowas sagen. So eine Aussage würde perfekt in ihren Mund passen. Weil, während ihrer Ermittlungen im Wald, tut sie genau das. Nur der alte Kommissar, der bleibt mit seinem Kummer allein, frisst ihn in sich hinein. Schade, hier ist eine große Chance es besser zu machen, verschenkt worden.
  2. Achtung Spoiler. Das Team ermittelt die Täter, nennt auch ganz kurz Gründe, und Kommissar Gorden löst den Konflikt auf. Für meinen Geschmack fehlen mir hier ein oder zwei zusätzliche Ergänzungen. Ich finde es von Kindern, die das Buch lesen, viel verlangt, zu begreifen, was Kommissar Gordon da gemacht hat. Auf den ersten Blick sieht es nämlich aus, als würden die beiden Täter ungeschoren davon kommen. Tun sie nicht. Auch die Motive kommen mir ein bisschen zu kurz. Ich sehe ein, die Bestrafung eines Täters ist nicht Polizeiarbeit, das ist eine andere Institution. Aber Buffy war dem Motiv auf der Spur, das wird ann aber kurz und knapp abgehandelt. Zwei Sätze mehr dazu hätten diese schöne Geschichte rund und hübsch gemacht. Daher nur ★★★
  • Ulf Nilsson, Gitte Spee, Ole Könnecke
  • Kommissar Gordon – Der letzte Fall?
  • Moritz Verlag
  • 128 Seiten
  • Lese-Alter: 8 bis 10 Jahre
  • ISBN: 978-3895653087
  • 12,95 €


Kategorie: #BacklistMittwoch

Mein Lese-Monat Januar

Mein Lese-Monat Januar

Mein Lese-Monat Januar

  • Hanns-Josef Ortheil – Schreiben auf Reisen ⭐️⭐️⭐️
  • Anja Niekerken – Marketing für Autor*innen (eBook) ⭐️⭐️⭐️⭐️
  • Stephen King – Fairy Tale (Hörbuch) ⭐️⭐️⭐️⭐️
  • Andrea Wilk – Wie du deinen Bucherfolg mit dem Herzen planst (eBuch) ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
  • Bertolt Brecht – Wenn die Haifische Menschen wären ⭐️⭐️⭐️
  • Sven Regener – Magical Mystery (Hörbuch) ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
  • Jon Kabat-Zinn – Im Alltag Ruhe finden (Hörbuch) ⭐️⭐️⭐️⭐️

Schreiben auf Reisen:

An dem Buch habe ich jetzt wochenlang und monatelang rum gemacht. Es ist, wie man so schön sagt, nicht meine Tasse Tee. Ich mochte die Übungen und auch die Textbeispiele größtenteils nicht. Im Groben geht es darum: Entweder man schreibt für sich oder andere. Wenn man das tut, kann man das nüchtern, sachlich und kurz machen oder man verarbeitet die Eindrücke literarisch. Diese Erkenntnis ist jetzt nicht so wahnsinnig überraschend. Da ich ungern verreise, bin ich wohl auch einfach nicht in der Zielgruppe für das Buch. 

Wie du deinen Bucherfolg mit dem Herzen planst:

Das eBuch habe ich hier schon rezensiert.

Andrea Wilk - Bucherfolg

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Die Story habe ich erst als Film geschaut, dann als Hörbuch gleich noch hinterher geschoben. Das war eine echte Überraschung und eine Perle. Das hat mir wirklich Spaß gemacht. Sven Regener liest in einem irren Tempo, die Dialoge sind umwerfend, die Charaktere schrullig und sehr liebenswert. Bei der Magical Mystery Tour kann jeder mitmachen, auch eine wie ich. 😉

Fairy Tale:

Als glühender King-Fan kann ich gar nichts anderes als „Fairy Tale“ gut finden. Allerdings, ich habe Sachen wie „Es“ oder „The Stand“ als Hörbuch erlebt und Stephen King hat schon hervorragende Dinge abgeliefert. Fairy Tale ist gut, aber lange nicht so spannend, lange nicht so gut wie die eben genannten. Es ist ein bunter Mix aus verschiedenen Märchen, ja mit Grusel-Elementen. Es ist aber auch sehr lang und ich dachte hin und wieder: Komm endlich zum Punkt. Ich habe drauf gewartet, dass die Geschichte endlich richtig los geht und nicht mehr so nett dahin plätschert. Und dann war ich – huch – schon am Ende. Hm. 

Wie du deinen Bucherfolg mit dem Herzen planst

Bucherfolg: Rezension

Gleich vorweg: Ich habe schon eine Menge Bücher zum Thema Schreiben und Planen gelesen, ich zähle mich zu den Fortgeschrittenen, nicht zu den Anfängern. Ich kenne, unter anderem, die Bullet Journal Methode, ich habe schon viel ausprobiert, für mich übernommen oder auch verworfen. Das Buch ist also, ganz klar, für AngängerInnen hilfreich(er) als für Fortgeschrittene. Wenn man also vor lauter Ideen noch gar nicht weiß wo und wie man anfangen soll.  Und jetzt kommt der Pro-Teil. Die Tipps werden hier mit Tempo und verständlich an die zukünftigen AutorInnen gebracht, das macht Spaß, das ganze Buch ist eine glühende Motivationsrede im Sinne von: Mach dein Ding. Auch mit dem Hinweis, wenn der Plan nicht passt, dann mach ihn passend. Ich habe also eine schöne Auffrischung erhalten. Es geht um das Wann und Wie und Was. Mit Beispielen und Anregungen. ★★★★★

Sidenote. Ich liebe es Pläne zu machen, ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert. Allerdings, das kann ich auch: Ganz viel Kram auf die To-Do-Liste schreiben, ohne die Punkte zu priorisieren. Das bedeutet, ich erledige irgendwas und merke gar nicht, dass ich Dieses mache um Jenem auszuweichen, weil ich da keinen Bock drauf habe, obwohl Jenes wichtiger wäre als alle anderen Sachen auf der Liste. Ich weiß also schon, dass ein guter Plan und Zwischenschritte (samt Pausen!) wichtig sind. Ich versuche meinen Kram zu erledigen, boykottiere mich dabei ohne mir davon zu erzählen. Wenn es nach Andrea Wilk geht, dann machen wir alle einen Plan und setzen den auch so um. Diese Vorstellung gefällt mir, das ist hübsch. Allerdings ist das für mich unrealistisch. Dafür kann sie nichts, daran muss ich arbeiten und das in den Griff kriegen. Sie liefert „nur“ die Anleitung, die Arbeit muss ich selber machen. 😉 Zu wissen, was ich wann wie mache, reicht also noch nicht um das in die Tat umgesetzt zu bekommen, was ich tatsächlich tun will. Das ist ja der Clou an der Sache.

Ich bemühe mich also gerade, meine ganzen Pläne zu prüfen, mal einen ehrlichen Blick drauf zu werfen, was funktioniert und was nicht. Und das dann, entsprechend ihrer Tipps umzusetzen. Ihre Beispielplanung orientiert sich an ihrem Alltag als Vollzeit-Autorin. Wer wie ich (noch) nicht Vollzeit schreibt, muss – glaube ich – sowieso noch detaillierter planen und sich die Zeitinseln im Alltag freischaufeln. Auch das weiß ich schon: ein Jour fix im Alltag ist die Lösung. So wie meine „Stille Stunde“ jeden Mittwoch. Das funktioniert super.

Sie empfiehlt also die Aufgaben herunterzubrechen, kleine Schritte zu machen und regelmäßig zu reflektieren: was funktioniert, was nicht? Und dann ist es wohl egal, ob ich nur 10 Minuten am Tag an meinem Herzensprojekt arbeite oder 2 Stunden. Output ist he key.

Die Ansage auf dem Titel ist das, was man kriegt. Ich meine das sehr positiv, nicht, dass da falsche Erwartungen aufkommen. Es geht ums Planen, und nicht darum was/wie man schreibt und wie man den inneren Schweinehund dazu kriegt sich an der Sache zu beteiligen. Das ist wieder ein anderer Ratgeber.

  • Wie du deinen Bucherfolg mit dem Herzen planst
  • Andrea Wilk
  • Herausgeber: adw
  • Erhältlich as gebundenes Buch / eBuch
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3985956524

Mein Jahreshighlight: Zur See

Dörte Hansen – Zur See

Es ist Dezember, da kann man gut einen Blick aufs vergangene Jahr werfen und zu dem Schluß kommen: Das hier war das beste Buch, dass ich dieses Jahr gelesen habe! (Egal, was ich die nächsten zwei Wochen noch in die Finger kriege, ich bleibe dabei.) „Zur See“ habe ich als Print und als Hörbuch inhaliert, weil ein Mal lesen und nur in gedruckter Form nicht ausgereicht hat. Der Roman hat Sound und ist sprachlich so schön, ich möchte das ganze Ding mit Bleistift unterstreichen. Hab ich natürlich nicht gemacht. Statt dessen habe ich mir von Nina Hoss vorlesen lassen, das war noch schöner. Ich will gar nicht auf den Inhalt eingehen, dafür ist der Klappentext da. Ich will erzählen, was das Buch mit mir gemacht hat. Ich mag sie alle, diese verrückten, einsamen, gescheiterten Gestalten. Eigentlich müsste das total hoffnungslos wirken, was da passiert, auf dieser Nordseeinsel. Der gestrandete Wal und der Pastor, der an seinem Glauben zweifelt. Ryckmer, der zu viel trinkt und seine Mutter, die nie am Hafen steht und aufs Meer raus schaut. Selbst der komische Kauz, der gern ein Vogel wär, so scheint es mir, flügge wird und dann nach zwanzig Jahren irgendwie in sein Nest zurück schleicht. Dörte Hansen hat mich kalt erwischt. Jeder Satz deutet auf das Ende hin, es ist keiner zu viel, keiner zu wenig, die Geschichte wirkt wie ein grob gestrickter Seemannspullover. Er ist warm, kratzt aber nicht. Er ist grob aber mit feinen Details. Und obwohl ich meine zu wissen was kommt, obwohl ich meine vorbereitet zu sein wie Hanne und Eske, wie Rykmer und all die anderen. Sturmerprobt, unerschütterlich… Trotzdem hat es mich kalt erwischt. Auf gute Art, so wie nur Literatur das kann. Ich weiß nicht genau, warum ich das tröstlich fand. Ich hasse diesen vielzitierten Satz von Kafka. “Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.” Ich mag diesen Satz nicht, weil er für mich als Vielleserin impliziert, dass ich permanent mit einer Axt in mir herumhacke. Ich finde, in Büchern und Geschichten sollte es immer um die Einsamkeit des Einzelnen gehen, das Erzählte sollte Verbundenheit schaffen und Trost spenden. Und das hat „Zur See“ geschafft. Ich werde es noch mal lesen und weiter empfehlen und oft verschenken.

A. R. T. – Coup zwischen den Sternen

A. R. T. – Coup zwischen den Sternen

Rezenesion:

Savoy Midthunder arbeitet als Team-Leiterin bei ArtSecure und soll eine der wichtigsten Versteigerungen in der Kunstszene begleiten und bewachen. Es geht nicht nur um viel Geld, sondern auch um Leben und Tod, aber das weiß sie beim Antritt ihrer neuen Stelle noch nicht. Sie hat kaum Erfahrung – das kann ja kein Zufall sein. Die Kunst (und auch die medizinische Versorgung) ist nur noch der Elite zugänglich, wer das nötige Kleingeld hat, kann mitmischen. Mehrere Gruppen sind hinter einem bestimmten Kunstobjekt her: Noli me tangere. Ich will nicht spoilern, nur so viel: Die einen wollen die Kunst wieder aus dem All zurück auf die Erde holen, sie zugänglich machen für Jedermann. Eine andere, radikale und religiöse Gruppierung sinnt auf Diebstahl bzw. Zerstörung des Objekts. Aus Gründen. Und zum Schluß: Dr. Fichtner. Was hat ein Arzt im All, auf einer Kunstaustellung zu suchen? Tja, ich war auch überrascht. Dr. Fichtner kann man nach Herzenslust hassen, der gibt einen prima Bösewicht ab. Die Story beginnt 10 Tage vor der Auktion, es dauert ein bisschen bis alle Figuren und ihre Motive eingeführt sind und immer, wenn ich dachte, jetzt habe ich alle auf dem Schirm, ich weiß wer was vorhat, dann kam eine neue Wendung. Ui.

Ich fand die Darstellung der zukünftigen medizinischen Versorgung spannend und auch realistisch. Manches zeichnet sich ja jetzt schon ab. Im Sinne von, es wird versorgt, wer es sich leisten kann. Und dann die Kunstszene. Die beschriebenen Objekte, manches auch mit künstlicher Intelligenz gestaltet, ist faszinierend und gruselig zugleich. „Free your Mind“ wird natürlich von einer Partei schändlich missbraucht, aber wenn man dieses Werk im eigentlichen Sinn nutzen würde, wär es genial. Jedenfalls. Die zweite Hälfte des Buches fand ich sehr, sehr spannend. Als dann alle Figuren wie auf einem Schachbrett auf ihrem Platz bereit zum Angriff waren und sich mit ihren Zügen jeweils in die Queere kamen – da kam die ganze Sache in Fahrt. Ich mochte Savoy, die zwar taff ist, aber mit ihrer Unerfahrenheit als Teamleiterin und ein paar eigenen Dämonen kämpfen musste. Ich mochte auch ihre Teamkollegen, allen voran Mason, der eine tragende Rolle in dem Katz- und Mausspiel inne hatte.

So ein Sci-Fi Roman ist ja immer ein Gedankenspiel, vom Hier und Jetzt hin zu einer Zukunft wie sie sein könnte (manchmal auch wie wir sie uns wünschen würden.) Mir hat das sehr gut gefallen, da und dort dachte ich nickend: Ja, so wird das wohl werden, ob wir wollen oder nicht. Über die aktuelle Kunstszene weiß ich nicht genug um das wirklich beurteilen zu können, aber es scheint mir jedenfalls nicht abwegig. Ich habe also, zwischen den Leseabschnitten gegrübelt und ein paar Dinge gegoogelt. Und was kann einem Besseres passieren, als neue Anregungen, Impulse und Denkspiele? Eben. Ich habe schon ein paar Sachen der Autorin gelesen, Born zum Beispiel oder auch Out of Balance (als Hörbuch) und nun bin ich echt gespannt auf ihr nächstes Werk. 😊

★★★★★

  • Kris Brynn
  • ART – Coup zwischen den Sternen
  • Taschenbuch
  • Knaur Verlag
  • Taschenbuch : ‎ 384 Seiten
  • ISBN-10 : ‎ 3426529157
  • ISBN-13 : ‎ 978-3426529157

Schreiben Tag für Tag

Duden: Schreiben Tag für Tag

Ich habe zuweilen das Bedürfnis, Dinge zu schreiben, die ich zum Teil nicht fassen kann, die aber gerade den Beweis für das erbringen, was in mir stärker ist als ich.

Camus

Ich war mit dem Band „Schreiben über mich selbst“ aus dieser Duden-Reihe ja sehr unzufrieden. Alles, was ich dort vermisst habe, fand ich nun endlich hier und bin wieder versöhnt. Sinngemäß lautet die Aussage dieses Buches: Erst wenn du das Werkzeug Sprache beherrschst, bist du in der Lage damit kreativ zu arbeiten. Und wo fängt man an, wenn man mit dem Schreiben loslegt? Bei sich selbst. 25 Übungen laden dazu ein, mit verschiedenen Spielarten von ganz pedantisch bis hin zu eher grob. Innenleben, Aussenleben, Listen, Chroniken. Vom sachlichen Aufzeichnen zum Ideenbuch oder der eigenen Identitätsfindung. Als jahrelange Tagebuchschreiberin war mir schon manches vertraut, aber ich habe auch viele neue Anregungen und Ideen gefunden und ausprobiert. So mag ich das, so habe ich mir das gewünscht.

Es waren so viele Tagebuch-Beispiele dabei, dass ich praktisch das halbe Buch unterstrichen habe und meine Wunschliste um einige Titel reicher geworden ist. Ich muss unbedingt die Tagebücher von Kafka, Wittgenstein, Camus und Rousseau lesen. (Wegen mir hätten unter den Beispiel-Tagebuch-Schreibern auch ein paar Frauen sein dürfen, aber das ist ein anderes Thema.)

Ich schreibe schon seit vielen Jahren Tagebuch, dokumentiere meine Alltag, meinen Empfindungen, ich komme auch manchmal drauf, dass man nicht jeder Emotion trauen darf. Hier in diesem Büchlein lauteten die Übungen ganz oft: sei authentisch, wage auch mal einen Blick in die zerzausten Ecken deiner Persönlichkeit und halte das dann aus. Ich finde es einigermaßen schwierig die eigenen blinden Flecken auszumachen. Ich kann hart mit mir ins Gericht gehen, alle meine Fehler aufzählen und mich übel beschimpfen für meine Blödheit, wenn ich denn irgendwas ordentlich verbockt habe. Aber das führt noch nicht zu einem versöhnlichen Blick auf mich, noch nicht zu einem Fazit: Was kann ich besser machen? Vielleicht braucht es das gar nicht. Mich selber zu optimieren, als wäre ich die Beta-Version irgendeines Start-ups ist auch sehr bescheuert. Das kann nicht das Ziel sein. Jedenfalls. Hier geht es also um das Verständnis des eigenen Ichs, darum sich schreibend in Beziehung zu bringen, mit sich selbst, mit der Natur, mit allen anderen. Und ich bin überzeugt, dass das geht. Das Schreiben zu leben hilft. Schreiben schafft Bedeutung.

Kein Tag sei ohne Zeile!

Nulla dies sine linea!

Ich bin noch von einer anderen Sache überzeugt: Wenn man in sich (in Form eines Tagebuchs) etwas Ordnung geschaffen hat, dann kann man eine neue Datei anlegen oder ein neues Blatt Papier im Notizbuch aufschlagen und dann etwas neues, etwas Kreatives beginnen. Textarbeit. Schriftsteller versuchen immer ein Problem zu lösen. Ob nun fiktiv oder biografisch, das ist ja eigentlich egal. Mein Gemütszustand hängt oft mit meiner Fähigkeit zu schreiben zusammen, und wenn zu viel los ist, im Seelenhaus, dann klappt es a) mit dem kreativen Schreiben nicht und b) weiß ich manchmal vor Lauter Zuviel gar nicht, was ich denn denke oder fühle und überhaupt. Es ist tröstlich zu wissen, dass es anderen auch so geht. Mir war gar nicht klar, wie gern ich anderer Leute Tagebuch lese. Hinein schnüffeln in andere Gedankenhäuser und erstaunt feststellen: So anders ist deren Fundament gar nicht. Die wollen auch nur sich selbst und die Welt begreifen und dann etwas daraus machen. Dieser Band war sehr hilfreich und ich werde ihn wohl noch manches Mal in die Hand nehmen und aus den Übungen schöpfen um mich selber besser kennen zu lernen und zu begreifen. Bei Susan Sontag hieß das: Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke. (So, jetzt habe ich noch eine TagebuchschreiberIN rein geschmuggelt.) ★★★★★

Ich elender Mensch!

Kafka

  • SchreibenTag für Tag
  • DUDEN Kreatives Schreiben
  • Christian Schärf

Nachmittage

Nachmittage von Ferdinand von Schirach

Ausgelesen: Nachmittage

Ich habe einen Schnipsel einer Lanz-Sendung gesehen. Markus Lanz las einen Satz aus dem Buch #Nachmittage Es ging darum, was man einem Fremden, in einer Bar spätabends erzählen kann. Normalerweise schaue ich kein ZDF, kein Lanz, ich bin nicht solche Leute. Aber dieser eine Ausschnitt war so wunderbar, dass ich das Buch gleich haben musste. Und ich wurde nicht enttäuscht. Wobei, beinahe schon. Wenn Schirach als Ich-Erzähler auftritt, dann schreibt er ganz wunderbare Sätze, selbst wenn der Inhalt der Geschichte harter Tobak ist, das ist trotzdem unfassbar gut. Ich habe viel unterstrichen. Dann trifft er jemanden, erzählt dessen Geschichte nach, ohne Schnörkel, fast plump im Telling. Ich bemerke das, wundere mich, bin aber dennoch fasziniert und muss dran bleiben.
Wenn man ohne Mühe durch einen Text hindurch schwimmt, wenn man mitfließt, dann ist er in meinen Augen gut gelungen. „Nachmittage“ fühlt sich an, als ob ich mit jemandem in einem Café gesessen und ein gutes, intensives Gespräch geführt hätte. Ich war da beteiligt; „Wir wissen voneinander“. Da ist Melancholie drin und Tiefe, obwohl es nur kurze Texte sind, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben, und doch ineinander fließen, ich bleibe bei meinem Bild: Tinte in Wasser. Ich habe das sehr, sehr gerne gelesen, Ferdinand von Schirach habe ich jetzt auf dem Schirm, von dem will ich mehr lesen. ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️

Ferdinand von Schirach
Nachmittage
Luchterhand

#BacklistMittwoch – Letzte Nacht in Twisted River

Es ist Mittwoch und weil demnächst ein neuer Roman von John Irving erscheint, will ich den #BacklistMittwoch für diesen Roman nutzen:

Väter und Söhne

Irving setzt seine Figuren immer grotesken Zufällen und Unfällen aus. Erst ertrinkt der  15-jährige Angel, und später stirbt die Geliebte des Kochs. Der Sohn des Kochs, der 12-jährige Daniel verwechselt die stämmige, schwarzhaarige Frau mit einem Bären und erschlägt sie mit einer Bratpfanne, im Glauben sie würde seinen Vater angreifen. Leider ist die Frau auch die Freundin des Sheriffs, der sich rächen will, am Koch und dessen Sohn. Eine lebenslange Flucht beginnt.

Eintauchen, sich treiben lassen

Vater und Sohn leben allein, Rosie die Ehefrau und Mutter, ertrank, als Daniel zwei Jahre alt war. Lange Zeit erfährt Daniel nicht die Umstände ihres Todes. Die Ereignisse; der Unfalltod der Mutter, die erschlagene Bären-Frau, die Flucht, machen aus Daniel einen Schriftsteller. Schon als Teenager fängt er an zu schreiben, sieht in sich selbst einen zurückgebliebenen Jungen, der die Lücken seines eigenen Lebenslaufs mit seiner Fantasie stopft. Einzig sein Lehrer Mr. O´Hara liest seine Geschichten. Gerade dieser Umstand ist für mich besonders spannend. Daniel sammelt Informationen über seinen Vater, seine Mutter und ihre gemeinsame Vergangenheit wie Puzzlestückchen. Er legt sie zusammen, und so wie er die Umstände erfährt, bekomme auch ich sie. Den Rest muss sich Daniel selbst zusammen reimen. Irving lockt mich mit Brotkummen ins Hexenhäuschen, lässt mich schmoren. Wenn er will, dass ich leide und aufgeregt das dicke Ende kommen sehe, dann haut er mir nochmal eins über. Immer gespickt mit seiner Detailverliebtheit. Ich kann gut verstehen, warum manche LeserInnen überhaupt keinen Zugang zu Irvings Bücher finden. Entweder man liebt ihn für seine Details, für seine Ausschweifungen und Längen, oder man legt das Buch frustriert beiseite, doch so legt man nie das ganze Puzzle zusammen. Denn alle Details sind wichtig.

Ich persönlich finde es, beispielsweise, großartig, dass Irving uns LeserInnen auf seiner Reise der Geschichte immer genau erklärt, was passieren wird, warum, und wie. Ich sehe es immer kommen, und bin dann doch überrascht. Er lässt mich an seinen Kniffen teilhaben und ist dabei sein größter Kritiker. Kein einziger Kritiker, könnte ihn so sehr auseinander nehmen, wie er es selbst tut. Die ersten 200 Seiten handeln davon, wie es zur Flucht kommt. Ich erfahre die wichtigsten Dinge: das Leben des Kochs, bevor er heiratete und Daniel geboren wurde, das Leben der Mutter, alles über die Bären-Frau und auch über den besten Freund vom Koch; Ketchum. Die zentrale Figur des Romans, und meiner Meinung nach, verdammte Elchscheiße, auch der liebenswerteste Kerl weit und breit. Ketchum begleitet die beiden, als Beschützer und Freund. Anfangs dachte ich, Ketchum wäre ein Stereotyp, ein absolutes Klischee. Nur Iving schafft es, aus einem Klischee etwas wundervoll Individuelles zu machen.

Daniel beginnt also zu schreiben, das was er kennt, was er erlebt hat. Der Lehrer O´Hara hält diese Geschichten natürlich für grotesk, und absolut erfunden (Wem passieren schon solche Dinge?). O´Hara sagt und denkt und vermittelt mir all das, was ich beim Lesen vielleicht selbst gedacht habe. Mit O´Haras Stimme zerpflückt Irving seine eigene Geschichte, bis ins Kleinste, liefert die Gründe warum man ihm kein Wort glauben sollte, und dann doch jedes Wort für bare Münze nehmen kann (wenn man will), und sorgt dafür, dass man all die Figuren, Daniel und seinen Vater, die Bären-Frau und Ketchum, noch liebenswerter noch realer, empfindet. Während O´Hara die Geschichte, die Daniel schreibt, zerpflückt und bewundert, stehlen sich mir die Figuren ganz heimlich ins Herz. An diesem Punkt glaubte ich schon schon, sie persönlich zu kennen.

Die LeserInnen werden es für ein Kochbuch halten

Daniel schreibt weiter, stopft die Lücken, verändert die Details, kommt der Wahrheit sehr nahe, und doch ist alles erfunden. O´Hara ist noch verwirrter und ich kann es mir nun aussuchen: Ist die Geschichte, die Irving erzählt die eigentliche Geschichte? Oder die Geschichte, der Daniel nachspürt, die Geschichte seines Lebens? Wer ist der Autor von Letzte Nacht in Twisted River?

Er wird älter, schreibt noch mehr, noch mehr Details, er wird Vater, und er flieht vor dem Sherriff, vor seiner Vergangenheit.

she bu du

Einen Irving-Roman zu lesen ist für mich immer ein wenig so, als würde ich mich in den Schreibschuppen von Irving schleichen, seinen Hund Dickens ein bisschen hinter dem Ohr kraulen und mich in eine stille Ecke setzten, und ihm bei der Arbeit zusehen. Er spielt mit mir als Leserin, er vermischt Fiktion und Autobiografisches, wobei für mich die Frage danach, was „echt“ und was erfunden ist, unerheblich ist.  Ich glaube, die Frage ist auch für Irving unerheblich. Details erlebter Dinge wandelt er so um, wie er es für die Geschichte brauchen kann, und so sind auch autobiografische Dinge erfunden. In dem Buch steckt Iving, vielleicht mehr, als er selber weiß, und doch überhaupt nichts von ihm. Was macht es schon, wenn man es nicht so genau weiß, wenn man sich einfach in die Figuren verliebt? Die Gefühle ändern sich dadurch ja nicht.

Ich persönlich mache immer wieder Zwangspausen, ich lese eine Irving-Geschichte nicht in einem Rutsch.  Am Anfang bin ich aufgeregt, will die Figuren kennen lernen, mitten drin, wenn ich dann Gefühle für sie habe und mit fiebere, leg ich das Buch beiseite. Ich weiß, sie werden viel verlieren. Gliedmaßen, geliebte Menschen, so ziemlich alles. she bu de schreibt Irving, und übersetzt es mit Ich kann es nicht ertragen loszulassen. So geht es mir auch. Kaum war ich über die 500ste Seite hinaus, dachte ich; Oh, er leitet das Ende schon ein.

Ich will nicht, dass es endet!

Aber es endet. Und alle Details sind wichtig. Alle Rezepte und Gerichte, schließlich geht es um einen Koch und seinen Sohn, um ihre Reise, das Überdauern von fünf Jahrzehnten, und wie sie das Leben ausgekostet haben, trotz aller Widrigkeiten. Mein persönlicher Lieblingsroman ist immer noch Zirkuskind, aber der hier, Letzte Nacht in Twisted River kommt dem verdammt nahe.