Ich mag Listen. Und ich mag Buchreihen, ganz besonders wenn ich sie vollständig habe. Hier im Blog führe ich mehrere Listen bzw. Projekte, jetzt kommt eine weitere dazu: Projekt Duden. Letzte Woche stöberte ich durch meine Schreibratgeber, die gelesenen und die ungelesenen. (Was sich noch auf dem SUB befindet, kannst du hier nachlesen: Lese-Challenge 2022) Dabei stieß ich dann auf die Reihe „Kreatives Schreiben“ aus dem DUDEN Verlag. Die gebundenen Bücher sind alle sehr hübsch und soweit ich mich erinnere auch hilfreich. Allerdings ist das zehn Jahre her. Jedenfalls. Nun habe ich Lust die Reihe noch mal zu lesen und auch zu renzeniseren. Ich habe mit Schreiben unter Strom angefangen, als nächstes lese ich „Schreiben dicht am Leben“. Den Fortschritt meines Projekts dokumentiere ich hier, mit Links und Fotos und Anmerkungen. Mir fehlt allerdings das Notizbuch zur Reihe, das habe ich damals nicht dazu gekauft. Jetzt fände ich es aber hübsch, der Vollstänigkeit halber, es auch noch zu erwerben. Allerdings ist das gute Stück nicht mehr erhältlich. Falls du mir einen Tipp hast, wo ich es noch kaufen könnte, gern auch gebraucht, dann sag Bescheid, ja? Hier ist die Liste.
Mai 2022 Nachtrag: Ich habe die Reihe voll. Samt Notizbuch. Yay.
Heute Abend findet wieder „Die stille Stunde“ bei Pia Helfferich statt. Wir schreiben, jeder für sich und doch über Zoom gemeinsam. Co-Working in Neusprech. Vielleicht lässt diese bescheuerte Pandemie ja irgendwann wieder Kultur und Lesungen zu. Vielleicht darf ich dann auch wieder auf eine Bühne, vielleicht gibt es neue Termine mit der get shorties Lesebühne und vielleicht brauche ich dann auch wieder eine neue Kurzgeschichte. Puh, das ist eindeutig nicht genug Druck um in die Puschen zu kommen. Uff. Und dann soll es ja bitte-danke auch noch ein anderes Thema sein, als dieses vermaledeite, große C. Uff. Ich dachte, ich schreibe eine Fortsetzung zu „Pärchenkacke“.
Der Gute holt mich von der Arbeit ab. Wie nett. Als er die Hände aus den Jackentaschen zieht, knistert es verdächtig. Ich kenne das Geräusch.
„Was hast du da?“
Er zieht ein Biskuit-Röllchen in lila Verpackung aus der Tasche.
„Ist das für mich?“
Er grinst.
„Ist das wirklich für mich?“
Er guckt verwirrt.
„Ist das für mich oder ist das Pärchenkacke? Muss ich das teilen, und wir knabbern von zwei Seiten an dem Biskiut-Röllchen wie Susi und Strolch, weil das so scheiße romantisch ist?“
„Es ist deins“, sagt er, küsst mich und übergibt mir endlich das Teil.
„Meins also. Du Guter!“
Da hör ich wieder was knistern.
„Was ist das?“
Er holt ein weiteres Röllchen aus einer weiteren Jackentasche.
„Ist das auch meins?“
„Ja“, sagt er, „vorausgesetzt ich darf heute Abend den Film aussuchen.“
Ich schnappe die zweite Süßigkeit und sage: „Na gut.“
Und dann: „Moooment. Die gibt es nur im 5er Pack. Wo ist der Rest?“
Ist das der Anfang von einer neuen Geschichte? Ja. Schreibe ich heute Abend weiter? Ja. Hab ich jetzt ne Packung Biskuit-Rollchen inhaliert? Vielleicht. 😉
Meine Kollegin Lotte Römer hat mir die Woche den Link zu diesem Video geschickt, weil sie meine Liebe für Schreibmaschinen kennt und auch verfolgt hat, wie Erika bei mir eingezogen ist. Ich kann mich ja wie bescheuert freuen: Über den Klang beim Tippen, über das Schriftbild, über das Aussehen der runden Tasten. Wenn mich irgendwer darauf anspricht, sprudele ich los und erzähle, meine Begeisterung ist wie ein Geysir: heiß und plötzlich. Jedenfalls.
Heute hatte ich endlich Zeit das Video zu schauen. Van Neistadt erklärt hier, dass eine Schreibmaschine die eigene Stimme einfängt. Und ich dachte, wieder mal völlig begeistert JA. Man kann ja über das Intenet sagen was man will. Man kann Vor- und Nachteile aufzählen und darüber philosophieren, was die Anonymität und der Umstand alles ungefiltert raushauen zu können, mit uns allen macht. Ich finde im Internet viel Zugewinn. Ich kann mir auf Instagram Videos und Bilder und Reels zum Thema Adhs und Autimus und Depressionen anschauen und zum ersten Mal in meinem Erwachsenen-Leben erkennen: Woah, denen geht es ja wie mir. Wie krass! Ich bin ja doch kein Alien. Die Sachen haben alle einen Namen. Das sind Symtome. Ja, das tröstet mich.
Also, eine Sache, die ich schon lange mache, und just in diesem Moment erkenne: Ich erfasse meine Stimme. Ich halte sie fest. Und offensichtlich bin ich nicht die einzige, die das so macht. Ungewöhnlich ist das auch nicht. Ich bin Autorin. Das wusstest du vermutlich schon. 😉 Wenn ich ein neues Projekt starte, dann öffne ich in meinem Schreibrpogramm eine neue Datei und benenne diese: Arbeitstitel und Datum. Und wenn ich am nächsten Tag (Hahahaha, oder einen Monat später!) an der Datei bzw. dem Entwurf weiter arbeiten will, dann mache ich eine Kopie und benenne sie um. Arbeitstitel und Datum. Das bedeutet, alles was ich in der Sittzung vorher geschrieben habe, bleibt exakt so stehen. In der neuen Datei überarbeite ich das bisher geschriebene, ich erweitere den Text, schreibe weiter, notiere mir auch, was ich in der nächsten Sitzung alles tun will bzw. wie die Story weiter gehen soll. Tja, und wenn ich dann das nächste Mal wieder an die Arbeit gehe, kopiere ich die vorherige Datei und wiederhole den ganzen Prozess. Somit habe ich am Ende, wenn das Buch fertig geschrieben ist, unzählige Dateien, Titel und Datum, und kann jeden Arbeitsschritt nachvollziehen. Wenn ich was gelöscht habe, und der Meinung bin, dieser eine Absatz war doch gut, kann ich ihn einfach wieder herholen. Es geht nicht ein Wort verloren, mein ganzer Denk- und Arbeitsprozess ist bis ins letzte Komma dokumentiert. Wozu das Ganze, fragst du jetzt vielleicht. Du fragst zu Recht. Mit dieser Methode muss ich nicht ein Wort löschen. Es geht nichts verloren. Das ist einizig und allein für mich wichtig. Vor ein paar Jahren habe ich diese Methode entwickelt, weil ich Schwierigkeiten hatte mit einer wichtigen Sache im Überarbeitungs-Prozess: Kill your Darlings.
Überarbeiten ist wichtig. Lektorat, Korrektorat, Anmerkungen der Lektorin, der Testleser, eben allen die an der Entstehung eines Buches beteiligt sind, einschließlich meiner eigenen Zweifel. Die reden auch mit. Manchmal finde ich das, was ich fabriziert habe, sensationell. Und dann wieder, mitten in der Nacht, wache ich schweißgebadet auf, und Schwester Innerlich schreit mich an: DAS KANNST DU DOCH SO NICHT SCHREIBEN.
Also stehe ich auf, kopiere meine aktuelle Arbeits-Datei, versehe die Kopie mit dem heutigen Datum und handle: Lösche, ergänze, schreibe. Da nichts verloren geht, kann ich viel großzügiger, radikaler, angstfreier vorgehen um am Schluß zufreiden festzustellen: Mit dem Überarbeiten ist der Text besser geworden. Der Ausdruck ist genauer, unwichtiges ist gelöscht und diese eine wichtige Sache, die ist jetzt im Rampenlicht, so wie es sein soll.
Und dann kann ich sehr gut schlafen. Endlich. Ob nun Schreibmaschine oder Computer, das ist ja keine Frage des entweder oder. Für mich hat sich mit dieser Erkenntnis einiges in meinem Arbeitsprozess geändert. Überarbeiten ist endlich nicht mehr so fürchterlich. Und mich nun, in diesem Video bestätigt und gesehen zu fühlen, ist das Kirschlein oben auf dem Sahne-Eisbecher. Kann ich nur empfehlen.
„Werd‘ doch endlich erwachsen!“, blafft sie mich an. Einen Moment bin ich irritiert. Für eine schlagfertige Antwort dauert das zu lang. Ich bin 32 und überlege, den Bruchteil einer Sekunde lang, ob ich der blöden Kuh meinen Kakao über die Rübe kippen soll. Ich habe noch Zeit zu denken, dass ein Sahnehäubchen auf ihrem weißen Haar bestimmt hübsch aussähe. Schade, dass ich keine Sahne bestellt habe.
Dann habe ich mich wieder. Gedanken, Zorn, Trotz. Ich kippe ihr nichts über dem Kopf. „So erwachsen wie du bist, will ich nie werden“, blaffe ich zurück.
Die Verwandtschaft und diverse Freunde sind zusammen gekommen, um irgendjemanden dazu zu beglückwünschen, dass er ein alter Furz geworden ist. Und ich mitten drin. Die Torten sind Diabetes-tauglich und kunststoffsüß, die Rollatoren stehen in einer Reihe im Flur des Gasthauses. Übergewichtige, vollbusige Frauen bringen Rentnerportionen und kneifen kleine Kinder, auf dem Weg zurück in die Küche, in rotglühende Wangen. Es ist laut, es ist warm, es ist langweilig.
Mir gegenüber sitzt Tante Christa, die ich noch nie leiden konnte. Sie ist einen Kopf kleiner als ich, dürr wie ein zehnjähriges Mädchen, aber so giftig, wie eine Viper.
Christa bestellt eine Mokkasahnetorte und eine Tasse Kaffee. Nicht für sich. Für mich. Ich soll das essen und trinken und sie will mir dabei zuschauen. Ich rufe die Bedienung zurück, ordere Kakao ohne Sahne. Nein danke, keinen Kuchen.
Christa ist empört. Darüber, dass ich ihr diesen kleinen Gefallen nicht tun will, darüber, dass ich in meinem Alter immer noch keinen Kaffee trinke, und es ist nahezu ein Sakrileg die gute Mokkasahnetorte, von Tante Monika, gänzlich abzulehnen. In Tante Christas Universum gibt es keine Mokka-Kostverächter. Die Ironie, dass sie zwar Mokka mag, aber nicht isst, entgeht ihr völlig.
„Werd‘ doch endlich erwachsen“, blafft sie mich daraufhin an.
Wenn Christa sich was gönnt, dann isst sie einen halben Apfel. An einem Tag wie heute, gibt es für sie ein Glas Wasser, ohne Kohlensäure natürlich, und Pilger-Geschichten für alle. Verzicht und Strapazen, das ist ihre Vorstellung von einem guten Leben. Kakao passt da nicht rein. Nicht mal zusehen kann sie.
„Nehmen wir kurz an, es gibt Gott. Und er hat die Schokolade erfunden. Dann ist es doch meine Pflicht als guter Christ, seine Schöpfung zu ehren. Man stelle sich mal vor, am Ende, ganz am Ende, da treffe ich auf einen hutzligen Mann in Jogginghose, der auf einem galaktischen Sofa flätzt, sich das Universum-TV rein zieht, sich am Sack kratzt und mich dann fragt: Wieso hast du ignorante Sau die Schokolade, die ich dir zur Verfügung gestellt habe, verschmäht? Hm?
Was soll ich dann sagen?“
Christa ist entsetzt. Über drei Tische hinweg mault sie meine Mutter an.
Sie fängt mit „Deine Tochter“ an, referiert über das Erwachsen sein ganz allgemein, dann kommt noch was mit „dieses gottlose Kind“ und endet mit „schlecht erzogen“. Das ist meiner Mutter alles nicht neu. Deswegen regt sie sich schon lange nicht mehr auf.
Der Kakao kommt. Obwohl er zu heiß ist, trinke ich einen großen Schluck und wische meinen Kakaobart nicht weg. Christa berührt hektisch ihre Oberlippe. Wischt und zeigt und greift mit der Linken nach ihrer Serviette. Ich bin eindeutig zu alt, um mir das Gesicht mit Spucke und einer Serviette reinigen zu lassen. Das weiß sie auch.
Ich mache „Mhmmm“.
Christa nicht.
Manch ein Onkel fummelt an seinem Hörgerät, meine Mutter tötet mich mit Blicken. Ich empfange die Botschaft „Hör auf damit, die Frau hat eh nicht mehr lang.“ Vermutlich stirbt Tante Christa mal am Hunger, statt an Krebs oder Herzversagen, wie normale Leute. Irgendjemand sagt „Die jungen Leute von heute“, und Tante Christa und ich verdrehen die Augen. Das einzige Mal, dass wir uns einig sind.
Ich atme, laut und hörbar und seufzend, was Tante Christa noch mehr aufregt.
„Was hast du denn jetzt zu schnaufen?“ Danach referiert sie etwa zehn Minuten lang darüber, dass jemand wie ich, der die Entbehrungen des Krieges nicht erlebt hat, auch nichts zu schnaufen hat. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder das Leben an sich schwer nähme? Sie ist 1956 geboren, aber ich sage nichts, nippe nur ein weiteres Mal an meinem schokoladigenen Heißgetränk. Mit kindlicher Freude schiebt mir Onkel Karl das Zuckerdöschen über den Tisch. Ich lasse einen Würfelzucker in Form eines Herzchens in meiner Tasse verschwinden.
„Erwachsen sein wird total überbewertet“, sagt er. Onkel Karl sagt immer nur einen Satz pro Tag, mehr gestattet ihm Christa nicht. Ich lächle ihn an, und freu mich, dass dieser eine Satz mir gegolten hat. Das kommt nur alle paar Jahre vor. Er zwinkert. Christa schnauft.
„Hast du´s schwer, Tante Christa?“, frage ich. Ich bekomme keine Antwort, weil meine (gefühlt) siebzehn rosafarbene Cousinen „Alle Vögel sind schon da“ als Geburtstagsständchen auf der Flöte anstimmen. Gott, bin ich froh, dass ich für den Scheiß zu alt bin.
Wenn sich circa dreißig erwachsene Menschen in sehr knappen, aber gepolsterten Hosen, hautengen Trikots und Sonnencreme auf der Nase, treffen, dann nennt man so ein Ereignis „Radtreff“. Ich bin, konditionstechnisch, in der Gruppe von Jürgen und Regina gelandet, einem verheiratetem Paar, das schon zweiundzwanzig Jahre auf dem Buckel hat. Ehetechnisch. Wenn man die Ehe mit einer lebenslänglichen Haftstrafe vergleicht, wären beide inzwischen wegen guter Führung entlassen worden.
Er radelt, richtungsweisend, ganz vorne, während sie die Nachhut bildet und so verhindert, dass keiner verloren geht, unterwegs. Falls doch einer schwächelt oder Jürgen ein zu strammes Tempo vorgibt, brüllt sie von hinten:
„Wenn ich ein Mal klingle, fährst du langsamer!“
Er antwortet dann, eloquent wie es nur Männer können:
„Wenn ich zwei Mal klingle, leckst du mich am Arsch“.
Verheiratet zu sein, muss echt toll sein.
Der Rest der Gruppe strampelt, meist schweigend, zwischen den Parteien. Je nachdem, ob die Route ansteigt, oder abfällt, rückt ein Ehegesponst näher an uns heran. Das sieht für Außenstehende dann so aus, als würde sich ein Schäferhund unter seine Herde mischen um einen Plausch abzuhalten. Die Autofahrer hupen uns immer begeistert an, wenn drei Radler nebeneinander herfahren um einer Jürgen-Regina-Geschichte zu lauschen.
Ein Beispiel. Jürgen beschwert sich in Hanglage darüber, dass er kein Nudelsieb beim Kochen benutzen darf. Regina meint, dass müsse nach Gebrauch gespült werden und sei grundsätzlich unnütz. Ein richtiger Mann kann Nudelwasser abgießen ohne Hilfsmittel, sagt Regina. Diese Definition eines richtigen Mannes kannte ich bisher noch nicht, und schlage ihm vor, einen Tennisschläger zu benutzen. Unterstreicht sicher seine Männlichkeit. Hat bei Steffi Graf auch funktioniert.
Man stelle sich die zwei Mal diskutierend im Bett vor. Hui.
Bergab erfahre ich dann von Regina, dass Jürgen beim Crêpes backen zuerst den Schinken und dann den Käse auf den Teig wirft. Sakrileg! Sie meint, jeder Vollidiot würde wissen, dass man das anders herum macht. Auf meinen Einwand (und ja, ich bin ein Klugscheißer!), dass mit Jürgens Methode aber der Schinken nicht trocken werden würde, schaut mich Regina so böse an, dass ich beinahe tot vom Rad falle. War aber nur ein Schachtdeckel, nicht ihre Gedankenmacht.
Neulich sind wir dann noch eingekehrt, nach getanem Sport. Was hat man denn von so einer Leistung, wenn man nicht irgendwo schwitzend und stinkend protzen kann: Seht her, wie Vital ich bin.
Sie legte mir drei eiskalte Finger auf den Oberarm, verschwörerisch, irgendwo zwischen Garderobe und Damentoilette und flüsterte „Das nächste Mal fahr ich nur mit dir alleine“. Mein Schinken-Kommentar muss sie schwer beeindruckt haben.
Er fummelte zum Schluss an seinem Fahrradschloss und sah beschäftigt aus, drehte sich umständlich nach den anderen um, damit ja keiner mitkriegt, dass er zu mir genau dasselbe sagt. Nächstes Mal, nur wir zwei.
Ich fahre inzwischen dienstags mit Jürgen und donnerstags mit Regina. Meine Kondition ist supi, sie sparen sich die Eheberatung und falls du dir Sorgen machst, dass mir mal die Beziehungsgeschichten ausgehen; Niemals! Nicht bei der Quelle.
Es ist nicht schwer bei Sonnenuntergang zum Grillplatz zu laufen. Man weiß wo was ist, freut sich auf sein Grillwürstle, die Gespräche und sogar auf die albernen Lieder, die später am Lagerfeuer gesungen werden. Erst auf dem Rückweg, nachts wird mir und so manchem meiner Kollegen klar: Es ist finster und der Weg zum Parkplatz zwanzig Minuten weit.
Beim Hinweg ist jedem klar, rechts ist der Wald als große bunte Masse, und links der Rand. Der Randweg, an der Klippe entlang ist durch ein Holzgeländer gesichert, hin und wieder läd eine Holzbank zum Verweilen ein – mit atemberaubendem Ausblick auf unser Städtle. Da und dort wartet ein abgesägter Baumstumpf, in Form eines Stuhls mit Lehne und Plumpsklo-Herzle in der Mitte auf einen müden Wandrer.
Beim Hinweg betrachtet man die Sonne, wie sie ganz kitschig den Horizont küsst und abtaucht für die Nacht. Man sagt, „Oh wie schön, diese Farben“ und hat gar keinen Sinn für die Steine unter den Schuhen, für die Furchen im Weg, ausgespült – auch ganz kitschig – von tausend Himmelstränen die zurück wollen in den Grund. Ach ist das alles idyllisch hier. Man sieht ja alles, jede Stolperfalle, jede Wurzel, die trockenen Blätter, die man durch die Luft kicken kann, als wäre man Ronaldo im Herbstteam. Es ist aber noch gar nicht Herbst, die Blätter rascheln lange nicht so schön wie im Oktober, also lässt man es, und freut sich über den August– der Herbst ist noch weit weg.
Beim Hinweg ist alles schön. Für den Rückweg spart man keine Kraft auf. Wozu? Gesättigt und guter Dinge verlässt man den warmglühenden Schein des Lagerfeuers und stellt fest: Taschenlampe vergessen. Das Feuer wärmt nicht mehr, der Mond hat sich hinter einer Wolke versteckt und grinst hämisch. „Find´ du nur den Weg zurück – ohne mich, Menschlein.“
Die Lichter der Stadt, die Straßenlaternen, die Wohnzimmerlichter, die Autos leuchten so sehr sie können, doch nicht genug, den Berg herauf. Der Kalkstein am Randweg hält alles auf. „Nicht bis hier, kleiner Freund. Neinnein.“ Die Stadt lebt weiter, weit weg, getrennt vom Wald, von diesem Oben, getrennt von der Dunkelheit der Nacht, als stünde eine Glaskuppel wachend über ihr.
Da ist eine Wand aus gelbem Stein, und ich balanciere am obersten Rand, die Dunkelheit zu meiner Linken, wie ein atmendes Monster. Ich spüre den Wald als ein lebendiges Wesen. Die Bäume machen das Dunkel noch dunkler, der Wind in den Wipfeln rauscht wie das Meer, aber nicht beruhigend – ich meine, eine Welle könnte mich über den Rand spülen. Die Furchen im Weg erschweren meinen Heimweg, ich stolpere mehr als ich gehe, fange mich selbst, greife nach dem taunassen Geländer, kalt und spröde ist es unter meinen Fingern. Es hält mich.
Die Kiesel knirschen, springen unter meiner Sohle weg wie ängstliche Hasen. Ich will ihnen gerne folgen. Die Blätter knistern und rascheln wie ein Feuer und laden nicht mehr zum Kicken ein, wer weiß was sich darunter verbirgt? Sie bedecken die Welt, es ist nicht meine, heute Nacht.
Es kommt mir vor als hätte die Nacht Augen, aber nicht der Mann im Mond sieht mir zu wie ich zu meinem Auto eile. Mein Atem ist das einzige Geräusch das ich höre, und mein Herzschlag in meinem Ohr. Vielleicht ist es auch der Puls derer, vor denen ich flüchte? Ich glaube an Bären und Wölfe und Geister der Nacht. Gerne möchte ich mit Gebrüll ins Dunkel laufen – weg vom Rand – und sie fangen, gerne wäre ich dran bei diesem Spiel. Aber es ist nicht meins, heute Nacht. Ich laufe weiter. Ich will ja nicht erwischt werden.
Im Auto atme ich tief durch.
Gewonnen. Diesmal.
Falls du jetzt Lust bekommen hast, diese Übung selbst zu versuchen, dann verlinke mich oder lass mir einen Kommentar da, damit ich deinen Beitrag finde.
Uff. Das Manuskript ist fertig. Ich bin fertig. Meine Güte. Das bedeutet mehrere Dinge. Der O’Connell Press Verlag hat jetzt wieder was zu tun. Es gilt aus meinem rohen Geschreibsel ein schönes Buch zu machen. Das bedeutet, im nächsten Jahr gibt es eine Neuerscheinung aus meiner Feder. Und das bedeutet, ich habe den Salto noch mal hin gekriegt. Jedes mal, wenn ich eine neue Geschichte anfange, befallen mich Zweifel. Dieses mal schaffe ich das nicht. Wie, verdammte Axt, habe ich das die letzten Male hin gekriegt? So wie immer: Eine Seite nach der anderen. Satz für Satz.
Freut euch mit mir auf Nina. 2020. Das wird super. Uff.
Einer der Kinosäle war braun. Wände und Sessel, selbst die Lampen an den Wänden gaben schummrig-braunes Licht ab. Der andere Saal, der kleinere, war rot. Die Sessel im roten Saal waren größer, man hatte richtige Beinfreiheit, es war fast gemütlich dort, wenn man statt den Film zu sehen, rum knutschen wollte. Meine Brüder behaupteten, der rote Saal wäre Abends das Porno-Kino. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen, dass es in unserem Kaff Menschen geben sollte, die Abends ins Kino gingen um sich einen Sexfilm anzusehen. Gemeinsam. Wie seltsam.
Meine Eltern gingen selten ins Kino. Meine Mutter mochte Schnulzen und mein Vater schnarchte laut, sobald er eingeschlafen war, so blieben sie zuhause. Meine Mutter sah fern, der Vater schlief auf dem Sofa, sie stellte den Ton lauter. So ging das schon.
Mein Vater gab mir Sonntags immer ein Fünf-Mark-Stück. Das war ein großes Stück Geld, schwer in der Hand. Mit zwei davon konnte man auf dem Rummel noch viel erleben, mit einem, am Sonntagmittag einen Film schauen. Er legte mir dieses Stück Freiheit immer feierlich auf den Handteller, genau in die Mitte, zwinkerte mir zu und sagte: Viel Spaß.
Ich brauchte kein Popcorn, keine Fanta, kein Eis. Nur mein Fahrrad und fünf Mark. Und dann klackte ich der alten Frau hinter der Scheibe mein Geld auf den Tisch. Sie kannte mich, ich sah sie nie lächeln.
Die alten Schaukästen gibt es noch, in denen die Filmposter angepinnt waren. Den Schriftzug über den Schautafeln gibt es auch noch, Rex und Roxy, aber sie leuchten schon viele Jahre nicht mehr, wenn es Dunkel wird. Ich habe gesehen, wie die Besitzer die Bespannung von den Wänden gerissen und die alten Kinosessel zum Sperrmüll an die Straße gestellt haben. Die beiden Räume sind nun Lagerhallen, ganz gewöhnlich. Ich traute mich nicht, einen der Sessel zu nehmen – was hätte ich auch anfangen sollen, mit einem alten rot-abgewetzen Porno-Sessel, der seine besten Tage schon hinter sich hatte, als ich noch ein Kind war.
Ich wünschte, ich hätte ein einziges Fünf-Mark-Stück behalten, nur wegen dem Geräusch, dass es auf einer Tischplatte macht.
Tag 31: Wie geht es weiter? Was sind deine Schreibziele für den Rest des Jahres?
Pläne. Das ist ja eine putzige Sache. Erzähl dem Universum, was du vorhast, und es wir dir einen Strich durch die Rechnung machen. Ich bin ein Listen-Mensch, das bedeutet, ich schreibe in allen Lebenslagen auf, was ich wann tun möchte, oder getan habe, oder niemalsnicht tun will. Ich hab sogar eine Liste, die all meine Listen beinhaltet, Konsequenz ist mir wichtig. Das Problem ist, dass ich mir immer mehr auflade, als ich leisten kann. Oder will. Wie so ein dummes Kamel, dass vor lauter Last nicht los laufen kann, und einfach erschöpft in der Wüste liegen bleibt, was soll der Terz, hier ist es doch hübsch… Muss das alles, wirklich!?
Erschwerend kommt hinzu, dass ich wahnsinnig phlegmatisch bin, und den lieben langen Tag nur auf der Nase liegen möchte… wenn da nicht dauernd jemand was von mir wollen würde. Ich befinde mich gerade in einem Prozess, der ist noch nicht abgeschlossen. Meine To-Do-Liste ist lang und umfangreich, aber am Ende der Kraft ist noch so viel Tag übrig. Menno.
Also muss ich Abstriche machen: Das wichtige Zeug: Ja. Das unwichtige Zeug: Nö.
Die Kunst ist, das eine vom anderen zu unterscheiden. Ich neige dazu, mir die To-Do-Liste picke packe voll zu laden, und dann die leichten, unwichtigen Dinge zuerst zu erledigen, um dann theatralisch zu sagen: „Ich hab ja gar keine Zeit für die wichtigen Dinge, ich armes Ding. Tja, dann bleibt´s halt unerledigt.“
Selbstmitleid, auch so eine putzige Sache. Eins meiner vielen Talente. 😉
Ich möchte also, für den Rest des Jahres, den unwichtigen Kram beiseite legen, nur Sachen machen, auf die ich wirklich Bock habe, und die ich auch schaffen kann. Das bedeutet: Realistische Ziele setzten. Das übe ich derweil. Ich sage dir am Ende des Jahres, wie es gelaufen ist.
Der Masterplan:
Realistisches Ziel setzten (ProjektLondon)
Unwichtiges sein lassen (zu viel Internet/Ablenkung/Zeitfresser/Offline Scheißdreck, den ich nicht weiter ausführe)
Dinge tun, die gut für mich sind. (Was ist gut? – ernstes Gespräch mit Schwester Innerlich!)
— Jetzt lass gut sein, das ist genug.
Huch. Gewohnheit, sorry.
~Caro
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Masterplan 2:
Alle Listen abarbeiten
Literarische Weltherrschaft an mich reißen (Muhahahahah)
Opus Magnum schreiben (ich vermute, damit werde ich nicht reich, schade.)
Im Lotto gewinnen
Haus am Meer kaufen
In Rente gehen
25 Tage andauerndes Nickerchen machen
Kuchen essen (Viel. Marmorkuchen oder Marzipan-Kirsch)