Klassentreffen

[Sudelbuch-Eintrag]

Johannes. Meine Güte.

So einer wie Johannes ist der Grund, warum viele Menschen beim Thema Klassentreffen zusammen zucken. Und ja, darüber lässt sich diskutieren, ob es nötig ist auf jede Frau mit dem Finger zu zeigen und abzufragen „Verheiratet?“ und dann „Kinder?“. Nicht mal als ganzer Satz, sondern nur Hauptwörter, Fragezeichen, Nicken oder Missbilligung. 

Johannes ist also ein Depp, der unsensibel drauf haut und dich mit einem Satz wieder zu einem unsicheren Teenager macht. Er fragte mich, ob ich bi- oder homosexuell sei. Damals in unserer Schulzeit habe es Gerüchte gegeben. Davon habe ich nichts mitbekommen, aber das liegt wohl in der Naur der Sache. Gerüchte, haben ja wenig mit demjenigen zu tun, den es angeht. So gesehen, ist mir eine direkte Frage lieber. Dann kann ich eine direkte Antwort geben. Nicht, dass die Antwort eine große Rolle spielen würde. Die Frage nach meiner Sexualität war also nicht das Problem. Ich weiß wie ich aussehe, die Frage an sich ist nicht neu.

Als ich sagte, ich sei hetero, unverheiratet und kinderlos (aus Gründen), da fragte er weiter… ob ich einen Stecher habe oder einen Vibrator benutzen würde. Und da fiel mir dann die Kinnlade runter. Ich habe ja mit viel gerechnet, aber auf die Frage war ich nicht vorbereitet. Meine Mitmenschen um mich herum bekamen Schnappatmung. Johhannes zeichnete mit seinem Finger einen Kreis in die Luft und machte „Brrrrr“ dazu um seine Frage noch lautmalerisch zu unterstreichen.

Das ist jetzt keine Me-too-Geschichte, sondern nur alkoholisierte Dummheit. 

Ich bin ein ernsthafter Mensch. Wenn mich jemand etwas fragt, denke ich, er will das wirklich wissen und dann befällt mich so eine Beflissenheit, ernsthaft zu antworten. Mit Argumenten und Begründung und Tiefe. Aber das alles wollte Johannes gar nicht wissen. Er zoomte mit Daumen und Zeigefinger einfach in unsere Schulzeit zurück und sagte „So warst du damals“ ohne mir die Gelegenheit zu geben, mich selbst wieder zurück in die Gegenwart zu holen und zu sagen „Ja, stimmt. Und jetzt bin ich erwachsen, gefestigt. Ich bin wie ich bin, wenn du ein Problem damit hast, darfst du es behalten. Weil ich werde mich nicht rechtfertigen, entschuldigen oder so tun, als wäre ich eine andere, nur damit du dir nicht meinen Kopf zerbrechen musst.“ Er sah sich meine Hände an, prüfend, ob die rechte stärker ist als die linke Hand. 

Wir haben uns 18 Jahre nicht gesehen. Wenn ihn die Frage umtreibt, ob ich mit einem Penis, einem Vibrator oder mit meiner eigenen Hand Vergnügen erfahre, dann kann ich das nicht ändern. Nicht mal mit einer Antwort… die ihn nämlich nichts angeht. Ich habe geantwortet. Er wollte seine Meinung über mich gefestigt sehen, und nicht mit meiner Wahrheit belästigt werden. Also sagte ich „Mein Duschkopf heißt Bob“ und alle lachten erleichtert. Ich bin ein De-Eskalierer, ich mache Witze, wenn es ernst wird.  

Das Thema war damit immer noch nicht erledigt. Wie gesagt, eine richtige Antwort interessierte ihn nicht, daher habe ich es nach dem zweiten Versuch aufgegeben. Meine Kleidung, mein Auftreten war dann noch Thema. Ich habe den Kampf schon mit meiner Mutter ausgefochten, und sie ist wohl die einzige Person, der ich zugestehe zu mir zu sagen „Und wie du wieder aussiehst!“ Alle anderen haben die Klappe zu halten. 

Ich muss an John Irving denken, an Jenny Fields, die als ledige Krankenschwester, mit einem unehelichen Kind, „sexuell verdächtig“ war. Ich habe damals, beim ersten Lesen des Buches „Garp und wie er die Welt sah“ schon gedacht, so ergeht es mir auch mal. Die Leuten wollen ihre Mitmenschen in Schubladen stecken. Und wenn dann jemand wie ich nicht in die Schublade hineinpasst, nehmen sie es einem übel.

Ich habe eine Weile überlegt, ob ich den Schubladen-Stopfern ihre Fragen übel nehmen soll, dieses unverschämte „Wer befriedigt dich?“

Aber nein, ich tue es nicht. Wer mich direkt fragt, kriegt eine direkte Antwort. Wer keine Antwort, sondern nur seine Meinung über mich bestätigt haben will, dem tue ich auch diesen Gefallen. Und ansonsten lebe ich mein kleines Leben, wie ich es für richtig halte bzw. wie es die Umstände eben erlauben.

Get over it, Johannes.

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