Tag 2
In London gibt es eine „Phone Booth Library“. Als ich das erfuhr, wusste ich: Da muss ich hin. Weil, öffentliche Bücherschränke sind ja an sich schon eine tolle Aktion. Das ist nachhaltig, pflegt die Gemeinschaft und Menschen kommen an Bücher, die sie bei Amazon nie finden würden, schlicht, weil sie nicht danach gesucht haben. Das ist, in meinen Augen, das beste an Buchhandlungen, Flohmärkten, Bücherkisten und öffentlichen Bücherschränken: Man findet, was man braucht, aber nicht gesucht hat. Man entdeckt Bücher, Schätze, Neues. Google und co. finden immer nur das, was man schon kennt. Die Ergebnisse decken sich mit dem Horizont, den man schon hat.
Die Regeln eines Bücherschranks sind denkbar einfach. Stell eins rein, nimm eins mit. Es ist also keine Leihbücherei im eigentlichen Sinne – wobei, wenn man die Bücher, nachdem man sie ausgelesen hat, wirklich zurück stellt, ist es eine Mini-Bücherei. Ich habe mich jedenfalls an die Regeln gehalten, meine englische Ausgabe von Harry Potter rein gestellt und dafür einen Krimi raus genommen. Aber der Reihe nach.
Ich war 1999 das erste Mal in London, als Schüler: Abschlussfahrt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich damals noch keine Oystercard hatte, die habe ich erst bei meinem nächsten Besuch gekauft. Tatsache ist aber, dass ich nun seit 15 Jahren mit der gleichen Karte durch die Stadt fahre und dieses Mal habe ich die Karte zum Glühen gebracht. Ich wollte nicht im Zentrum, in der City herum springen, aus Gründen, die ich in den vorherigen Berichten schon aufgeführt habe. Von der Emirate Air Line zur Phone Booth Library ist es nicht weit, und wenn man mit der Overground fährt, sieht man auch was vom Städtle. Ich mag das, sobald ich die Touristen-Hotspots verlasse bekomme ich ein Gefühl von So-lebt-man-hier. Es ist also gleich viel weniger laut, die Gehsteige sind nicht rappelvoll und mich packt dauernd die Neugier: Wie sieht es da drinnen aus, in den Reihenhäusern? Ich sehe Kinder in ihren Schuluniformen, andere Leute machen Sport im Park, führen den Hund aus oder trauen sich mit dem Rad in diesen irrsinnigen Straßenverkehr. Typischer Alltag eben.
Wenn ich ich trauen würde, aber das tue ich leider nicht, auch weil meine Sprachkenntnisse nicht ausreichen, dann würde ich die Leute fragen: Wo arbeitest du und magst du deinen Job? Gehst du nach der Arbeit ins Pub, stehst auf der Straße mit den anderen, ein Pint in der Hand?
Ich war mit A. noch in der Westminster Abbey, später an dem Tag. Wir unterhielten uns über die Buntglasfenster, weil sie a) wunderschön aussahen und b) Könige und Königinnen darstellten, geschichtliche Ereignisse – eben eine Geschichte erzählten. Wir verstanden nur nicht die Zusammenhänge. In jedem Raum stehen „Guards“ herum, die aufpassen, dass man nicht fotografiert, nichts kaputt macht, nicht seine Popel an Stühle schmiert, nicht zu laut ist, undsoweiter und so fort. Ja, all das habe ich an nur einem Tag gesehen. Menschen *kopfschüttel*
Jedenfalls. Einer dieser Aufpasser hörte unser Gespräch, verstand so viel Deutsch, dass er meine Ausführungen verstand: Ich erzählte A. davon, dass ich die Serie „Wolf Hall“ gesehen habe und bis dato nicht wusste, wer Thomas Cromwell war, noch wie viel Einfluss er auf Heinrich VIII. hatte. Vor der Abbildung von Heinrich VIII. standen wir gerade und ich vermutete, dass er es ist, war mir aber nicht sicher. Und dann trat dieser ältere Herr an uns heran, fragte ob wir gerne mehr wissen wollen und so erhielten wir eine Privatführung, nur er und wir zwei, die aufgeregt fragten und hierhin und dorthin zeigten und er hatte wirklich Spaß mit uns, sagte „Ihr versteht alles was ich sage, don´t you?“ und wir nickten, und er erzählte weiter, über das englische Königshaus und die Hannoveraner und am Schluss sagte ich „Thank you“ und „Ihnen macht ihr Job wirklich Spaß hier, right?“
Yes, indeed. Und sowas begeistert mich immer. Ein Gespräch entsteht, ganz natürlich, später geht man auseinander, wir wissen, wir sehen uns nie wieder, aber dieser kurze Moment, das waren wir, und es war schön, und ich mag Menschen, die begeistert sind, von dem was sie tun. Ganz grundsätzlich. Und manchmal kann das auch eine Straße, ein Park, eine Landschaft: Mit mir reden, und mir vermitteln. Das sind wir. Und ich bin in diesem Wir mit drin. In dieser Stimmung ging ich zu der Phone Booth Library. Wie überall, das sieht man auch in Deutschland, werden Telefonzellen abgebaut. Jeder hat ein Handy. Man sieht sie noch, die englischen Telefonzellen, aber weniger. Und dann braucht es Leute mit Ideen und Tatendrang, die aus so einer alten Telefonzelle was Neues machen. Sebastian Handley hat die Telefonzelle für ein Pfund gekauft. Und dann umgebaut und eine Bücherei draus gemacht. Und ich bin, bei schönstem Wetter durch Lewisham getappt, das Navi in der Hand, Schweiß auf der Stirn und voller Vorfreude um mir dieses Werk anzusehen.
Das ist eine Sehenswürdigkeit, für die man eine Oystercard braucht, die in ein paar Minuten erledigt ist, und vermutlich nur echten Book-Nerds Freude bringt. Solchen, wie mir.
Link-Liste:
Lewisham phone box turned in to London´s smallest library
Dann komm doch mal ins beschauliche Ranggen 😉 Wir bemalen über den Sommer eine alte Telekomtelefonzelle und stellen sie dann ab September auf unserem Dorfplatz auf. Bücherzellen sind die allerbeste Buchtauschidee überhaupt. Interessant wäre festzustellen, wohin es die einzelnen Bücher mit der Zeit hintreibt, oder?
Vielen Dank für die Einladung. Leider hab ich erst im Herbst Urlaub… dokumentierst du die Aktion irgendwo? Facekook und co?