Schreiben ist Lügen mit Erlaubnis

Der Vater liest gerade mein zweites Buch. Er ist 74 und hat mit Drachen, Fantasy und fremden Welten nichts am Hut. Also bin ich gerührt, dass er sich durch meine Gedankenwelt müht. Er sagt, er sei beeindruckt. Nicht so sehr wegen der Drachen. Er erinnert sich an meine Schulzeit, als würde meine Schulzeit irgendwas über mich aussagen, über meine Interessen und Talente. Deutsch war nicht mein Lieblingsfach. Meine Aufsätze waren nicht so toll. Ich bin Legasthenikerin, zudem nah an der Wut gebaut, statt am Wasser wie andere. Ich habe nicht eingesehen, warum ich Dinge lernen soll, die mich nicht interessieren. Ich war nie eine schlechte Schülerin, nur unglaublich faul. Ich habe keine Hausaufgaben gemacht und dauernd bei anderen abgeschrieben. Ich habe keine Vokabeln gelernt und jeden Test mit einer Vier zurück erhalten. Das reichte mir völlig aus. Und nun kommt der Vater und meint, weil meine Aufsätze und Erörterungen das waren, was verlangt wurde, nämlich unkreativ, er mich nicht mehr erkennen würde. Er bringt das was ich jetzt schreibe, nicht mit der Tochter die ich mit 16 war, in Einklang. Zwischenzeitlich ist viel passiert. Wäre ich noch das trotzige Kind von damals, ich könnte mich wohl selber nicht leiden. Mir ist klar, er versucht mir ein Kompliment zu machen. Es klingt nur nicht wie eins.

Den Wunsch schreiben zu wollen, äußerte ich zum ersten Mal im Alter von 7. Kaum auszudenken, was gewesen wäre, wenn ich damals schon angefangen hätte. Wenn einer gesagt hätte: „Leg los, du darfst jetzt Geschichten erfinden.“ Das ich das darf, wusste ich nämlich nicht. Damals kollidierte ich dauernd mit dem Vorwurf: „Das erfindest du doch. Du lügst.“

Ein Beispiel einer typischen Unterhaltung mit mir, im Alter von sechs oder sieben Jahren:

„Welches Sternzeichen hast du denn?“

Ich: „Löwe“. (Subtext: Ich bin Jungfrau, die Brüder, sehr viel älter als ich, sagten Jungfrau sein ist doof. Ich wollte nicht doof sein, und welche Sternzeichen es noch gab, wusste ich nicht.)

„Aber du hast doch so spät im August Geburtstag, du kannst kein Löwe sein!“

Ich (Subtext: Warum kann ich mir das nicht aussuchen?): „Dann Affe.“

„Affe gibt´s nicht.“

Ich: „Pinguin?“

Kopfschütteln, unverständnis auf allen Seiten.

„Du bist ein merkwürdiges Kind.“

Ich: „Ja.“

Den Unterschied zwischen „etwas erfinden“ und „lügen“ habe ich erst sehr spät verstanden. Das heißt wiederum, die Erwachsenen um mich herum, haben mich nicht verstanden. Meine Lehrer beschwerten sich bei meinen Eltern über meine Lügengeschichten. Andere Kinder sagten: „Du spinnst.“

Und jetzt? Jetzt bin ich Schriftstellerin. Schreiben ist Lügen mit Erlaubnis. So nämlich.

~Caro

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