Das wird jetzt kein Text darüber, dass früher alles besser war. Es war nicht besser. Nur anders. Früher, das bedeutet in meinem Fall, als ich noch ein Kind war, haben wir zuhause gemeinsam fern gesehen. Es gab Abendbrot, der Vater hat die Nachrichten geschaut, wir mussten Zähne putzen, Schlafi anziehen und dann durften wir noch eine Stunde mitgucken. Emergency Room war eine der wenigen Serien, auf die wir uns einigen konnten – vorher standen Sachen zur Auswahl wie „Schwarzwaldklinik“, „Ein Schloss am Wörthersee“ und „Ich heirate eine Familie“.
(Schlimm genug, dass meine erste CD, die ich geschenkt bekam, eine von Roy Black war. Später folgte dann die Kelly Family, nur damit du einen Eindruck von meiner schweren Kindheit hast.) Jedenfalls. Wir Kinder maulten, der Vater hieb die Faust auf den Tisch (Mein Fernseher, eure Füße unter meinen Tisch, die Füße standen noch nicht auf dem Boden, die baumelten noch in der Luft, und ließen sich beeindrucken.) Emergency Room war dann die Rettung. Es gab Action, Blut und Tote, die Jungs waren zufrieden, es gab Drama und Herzschmerz für Mutti. Die konnte nebenher noch stricken. Du musst die Serie nicht gesehen haben, du mußt Lucy nicht kennen.
Wir schauten das, jede Woche, jahrelang. Das Ritual abends, änderte sich, die Jungs fingen an, auszugehen, natürlich erst wenn der Abspann lief, und der Vater schlief in der ersten Werbepause ein. Dann kam Lucy. Die Brüder fanden sie toll, weil sie hübsch war, der Vater sagte „Kesses Bienchen“, ich fand sie toll, weil sie klug war und sich in dem Laden durchsetzte und so wurde die ganze Familie ein Fan der Assistenzärztin. Alle blieben wach, die Jungs saßen gestylt auf dem Sofa, mit Blick auf die Uhr; „Wir können erst nach der Folge auf die Gaß“.
Dann kam ein Typ mit einem Messer ins Krankenhaus, psychisch krank. Er stach zwei Ärzte nieder und meine Familie heulte, als wär unsere Lieblingstante aus der Schweiz gestorben – die, die immer die gute schweizer Schokolade schickte.
Noch wochenlang konnten wir über irgendein Thema reden, um dann doch wieder bei Lucy zu landen. „Lucy ist tot“, sagte dann etwa mein Bruder mit belegter Stimme.
„Schade, sie war so nett“, sagte meiner Mutter.
Kein Mensch, ausserhalb meines Elternhauses verstand den Satz, „Lucy ist tot“. Meine Lehrerin wusste nicht, ob mein Wellensittich gemeint ist, oder doch die Tante und kondolierte aufs Geratewohl.
Heute ist das anders. Ich nutze einen anderen Streaming-Dienst als die Brüder, meine Eltern streamen gar nicht, die gucken wieder „Schwarzwaldklinik“ und „Ein Schloss am Wörthersee“ auf Servus TV oder irgend so einem Sender, den normale Leute gesperrt haben. Mein Vater guckt ja oft „Das Dritte“ und ich weiß nicht wovon er redet.
Der Gute interessiert sich nicht für die Serien, die ich mag – er guckt Zombie-Gemetzel auf dem Laptop und surft nebenher bei Facebook durch die neuesten Computer-Spiel-Walkthrough-Videos. Ich bin den Arztserien treu geblieben.
Neulich guckte ich dann Ripper Street. Musst du nicht kennen. Hobbs auch nicht.
Hobbs war jung und schön und klug und sympathisch. Meine Eltern hätten den gemocht. Die Brüder auch. Und als ich in den Familienchat hinein schrieb: „Hobbs ist tot“, da erinnerten sie sich an Lucy. Damals, weißt du noch? Und sie fragten: „Wer ist Hobbs?“, weil wir nicht mehr gleichzeitig die selben Sendungen schauen. Früher war nicht alles besser. Nur anders.
Ich ging zum Guten, wollte mich da trösten lassen. Ich sagte: „Hobbs ist tot.“
Er nahm mich in den Arm und fragte sanft: „Einer deiner fremden Facebookfreunde?“
Aus dem Notizbuch von Carolin Hafen
#Sudelblog